Weniger ist mehr – Radiotherapie beim Prostatakarzinom und bei Kopf-Hals-Tumoren

Im Rahmen des DEGRO-Kongresses berichtet Frau Prof. Dr. med. Cordula Petersen, Hamburg, President-Elect der DEGRO, über den Nutzen und die Möglichkeiten einer Therapie-Deeskalation bzw. Therapieoptimierung der Radiotherapie, die bei ausgewählten Patientengruppen möglich ist. Dazu gehören die intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT), der simultan integrierte Boost (SIB), eine verbesserte Bildgebung (PSMA PET/CT) zur exakteren Therapieplanung sowie die Hypofraktionierung der Gesamtbestrahlungsdosis.

Weniger ist mehr – Fortschritte der Radioonkologie bei Kopf-Hals-Tumoren

Pro Jahr erkranken etwa 13.000 Männer und 4.500 Frauen an bösartigen Tumoren im Kopf-Hals-Bereich [1]. Neben der Operation stellen Strahlentherapie, Chemotherapie sowie inzwischen auch die Immuntherapie wichtige Säulen der Behandlung dar. Insbesondere die Strahlentherapie ist ein sehr wichtiger Teil der Behandlung, wobei verschiedene technische Fortschritte heute eine nebenwirkungsärmere Bestrahlung erlauben, als es früher der Fall war. Die Möglichkeiten der Therapie-Deeskalation beinhalten neben einer Deintensivierung der Radiotherapie verschiedene Kombinationstherapien mit Antikörpern und Immuntherapeutika. Insgesamt dienen multimodale Behandlungskonzepte durch eine sinnvolle Kombination der Möglichkeiten und geeigneter Patientenselektion dem interdisziplinären Ziel, Toxizitäten zu verringern.

Intensitätsmodulierte Radiotherapie
Bei den Bestrahlungsformen kommt als schonende Option die intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT) zum Einsatz. Dabei erfolgt eine Verkleinerung bzw. Individualisierung der Bestrahlung durch die Anpassung der Bestrahlungsfelder unter laufender Therapie (adaptive Bestrahlung). Anstelle der standardisierten Bestrahlungsfelder früherer Zeiten sind durch moderne rechnergestützte Planung und reproduzierbare Lagerung der Patienten (Tumorvolumenerfassung) individuelle dreidimensionale Bestrahlungsfelder unter Aussparung empfindlicher Nachbargewebe möglich geworden. Die Bestrahlung erfolgt fächerförmig bei gleichzeitiger Bestrahlung unterschiedlicher Dosisbereiche. Ziel ist im Kopf-Hals-Bereich die Tumorzerstörung bei gleichzeitiger Schonung der Speicheldrüsen und dem Erhalt einer normalen Schluckfunktion (Dysphagie-Reduktion) durch Schonung der Schluckmuskulatur – insbesondere für ältere Patienten, bei denen die Ernährung nicht selten ohnehin ein Problem darstellen kann.
Auch sogenannte SIB-Konzepte (SIB = simultan integrierter Boost) spielen eine Rolle. Das bedeutet, dass nur das makroskopische Tumorvolumen bzw. Regionen mit der höchsten Dichte an Krebszellen eine einzelne, zusätzliche höhere Strahlendosis erhält, während Umgebungsstrukturen geschont werden.

Aktuell laufen in Deutschland noch zwei große Studien zur Therapie-Deintensivierung bzw. Therapieoptimierung. Die PATHOS-Studie („Postoperative Adjuvant Treatment for HPV-positive Tumor“) ist eine EORTC („European Organisation for Research and Treatment of Cancer“)-Phase-III-Studie, die risikostratifizert untersucht, ob eine verringerte Intensität der adjuvanten Behandlung zu weniger Schluckstörungen führt (durch eine reduzierte Strahlendosis oder Verzicht auf eine Chemotherapie, wenn keine Operation im Gesunden möglich war). Wie die PATHOS-Studie so wird auch die Phase-III-Studie EORTC-1420 „Best-Of“ von der Deutschen Krebshilfe gefördert. Bei Patienten mit kleinen Kopf-Hals-Tumoren (oropharyngeale, supraglottische Karzinome T1–T2, N0–N1 sowie hypopharyngeale Karzinome T1, N0) erfolgt dabei ein Direktvergleich „Best of Chirurgie versus Best of Radiotherapie“, d. h. eine primäre, transorale Operation („TOS“) gegenüber einer primären Bestrahlung. Studienziel ist ebenfalls der langfristige Funktionalitätserhalt.

Hinweis zum Symposium am SAMSTAG, 26. JUNI 2021 (SYM26), 15:45–16:45 /  LiveStream 3 „Deeskalierung der Therapie bei Kopf-Hals-Tumoren“
Neu an diesem Symposium ist ein Interview mit einem Patienten, der an einer diesbezüglichen Studie teilgenommen hat. Die Motivation des Patienten, das Risiko der Studie sowie die Nebenwirkungen und Erfolge sollen mit ihm in einem Interview besprochen werden. Der Patient ist bereit, bei Bedarf auch Journalisten Auskunft zu geben.

Weniger ist mehr – Hypofraktionierte Bestrahlung beim Prostatakarzinom

Ein Prostatakarzinom wird jährlich in Deutschland bei über 57.000 Männern diagnostiziert (Daten von 2014 [2]). Bei der Therapie kommen verschiedene Verfahren bzw. deren optimale Kombination zum Einsatz. Dazu gehören die Operation, Radio- und Radionuklidtherapie, Chemo-, Hormon- und Immuntherapien.

Zu den Deeskalationskonzepten bei Prostatakrebs gehört die Hypofraktionierung der Bestrahlungsdosis, d. h. die Reduktion der Anzahl der Fraktionen. Während die konventionelle Fraktionierung bei Prostatakrebs aus bis zu 40 Einzelbestrahlungen besteht (mit 1,8–2,0 Gy/Fraktion), sind es bei moderater Hypofraktionierung um die 20 Fraktionen (mit 2,4–4,0 Gy/Fraktion) und bei extremer Hypo- und Ultrafraktionierung weniger als 5-7 Bestrahlungen (mit 6–10 Gy/Fraktion) [3]. Bei Hypofraktionierung erfolgen grundsätzlich also weniger Einzelbestrahlungen bei jedoch höheren Einzeldosen auf den Tumor. Mit weniger Bestrahlungsterminen verkürzt sich für die Patienten die Gesamtbehandlungsdauer von vielen auf wenige Wochen und die Gesamtdosis ist am Ende geringer, was tendentiell zu weniger langfristigen Nebenwirkungen führen kann.

Bildgebung mit PSMA PET/CT ermöglicht Dosisreduktion

Bei der Diagnostik des Prostatakarzinoms ist in der Bildgebung das sogenannte kombinierte PSMA-PET/CT der konventionellen CT-/SPECT-Bildgebung überlegen, weil die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) das prostataspezifische Oberflächenantigen PSMA erkennt und somit bereits vorhandene Knochenmetastasen sicherer entdeckt werden, was dann gegebenenfalls die Therapiestrategie ändert.

Die HypoFocal-SBRT-Studie (SBRT=„stereotactic body radiotherapy“) unter Leitung der Uniklinik Freiburg  (Prof. Dr. med. Anca-Ligia Grosu) ist eine prospektive randomisierte Phase-III-Studie zur Zielvolumenreduktion (GTV) innerhalb der Prostata. Sie schließt 374 Patienten an 20 Zentren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ein, mit dem Ziel der Verbesserung des progressionsfreien Überlebens durch eine fokussierte kleinvolumige Dosiserhöhung nach MRT und PSMA-PET/CT. Die Standardgruppe erhält 60–62 Gy in 20 Fraktionen (je 3 Gy), die experimentelle Gruppe dagegen nur 35 Gy in 5 Fraktionen (je 7 Gy). Im Rahmen der Hypofraktionierung erfolgt eine Erhöhung der fokalen Strahlendosis im Tumor, einschließlich einer SIB (40–42 Gy auf PET/MRT GTV). Die gesamte Behandlungszeit soll somit bei Erhalt einer guten Lebensqualität von 20 auf nur fünf Bestrahlungstage verkürzt werden. Geplant ist außerdem die Durchführung von parallelen translationalen Projekten.

Adaptive Bestrahlungsplanung durch wöchentliche MRTs

Eine weitere Strategie der radiotherapeutischen Deeskalation stellte Dr. Daniel Wegener, Tübingen, vor [5]. Die Fragestellung lautete: Lässt sich im Rahmen einer bildgestützten Strahlentherapie (IGRT) der Bestrahlungsplan von Prostatakarzinompatienten im Therapieverlauf nach Bedarf auf Basis wöchentlicher 1,5-Tesla-MRTs anpassen? In einer einarmigen, prospektive Phase-II-Studie wurde unter Beweis gestellt, dass ein solches Vorgehen mit akzeptabler Akuttoxizität möglich ist: In der Studie M-Base Pro 1.0 erhielten 25 Patienten mit Prostatakarzinom (PC) der Stadien cT1-3b N0 M0 eine Radiotherapie (RT) bis 78 Gy in 39 Fraktionen auf Prostata und Samenblasen sowie eine hormonablative Therapie (HAT) nach Leitlinie. Neben 3-Tesla-MRTs bei Erstdiagnose, nach neoadjuvanter HAT sowie in Woche 2 und 7 der RT erfolgten wöchentliche 1,5-Tesla-Untersuchungen ohne Kontrastmittel. Wich das gemessene Prostatavolumen dabei um ≥ 25 % oder ≥ 20 ml vom initialen Planungs-CT oder -MRT ab, wurde der Bestrahlungsplan adaptiert. Bei 36 % war dies der Fall. Nach den Toxizitätskriterien RTOG und CTC wurden im Verlauf keine toxischen Auswirkungen im Bereich von Harnblase und Enddarm beobachtet, die mehr als zweitgradig waren.

 

[1] https://www.krebsdaten.de/Krebs/SharedDocs/Literatur/2019/Wienecke_Kraywinkel_Kopf-Hals-Tumoren_onkologe.html
[2] https://www.krebsdaten.de/Krebs/SharedDocs/Literatur/2019/Hermann_Kraywinkel_Prostatakarzinom_onkologe.html
[3] Arcangeli S, Greco C. Hypofractionated radiotherapy for organ-confined prostate cancer: is less more? Nat Rev Urol 2016; 13 (7): 400-8
[4] Fransson P et al. Ultra-hypofractionated versus conventionally fractionated radiotherapy for prostate cancer (HYPO-RT-PC): patient-reported quality-of-life outcomes of a randomised, controlled, non-inferiority, phase 3 trial. Lancet Oncology, Onlinevorabveröffentlichung am 11. Januar 2021, DOI:https://doi.org/10.1016/S1470-2045(20)30581-7
[5] Wegener D et al. VS02-5 MR-basierte adaptive IGRT des Prostatakarzinoms: Update zu Feasibility, Planadaptation und Akuttoxizität der prospektiven Phase II Studie M-Base Pro 1.0. Raum: WebKonferenz 2 (WK2)

 

DEGRO-Pressestelle
Dr. Bettina Albers
Tel. 03643/776423
Mobil 0174/2165629
albers@albersconcept.de