Strahlentherapie ist wichtige Säule der Krebstherapie – Kongress der Radioonkologen in Stuttgart vom 26.-28. Mai 2022

Die Zahl der Krebsfälle steigt. Meldedaten zeigen, dass jährlich fast eine halbe Millionen Menschen
in Deutschland mit einer Krebsdiagnose konfrontiert werden. Die gute Nachricht: Die Sterblichkeit
von Krebs ist deutlich zurückgegangen. Einige Tumorerkrankungen können geheilt werden, andere
sind gut kontrollierbar – die Betroffenen leben z.T. viele Jahre bei guter Lebensqualität. Einen
großen Anteil an diesem Erfolg hat die Strahlentherapie. Warum das so ist, erklären Prof. Anca
Grosu, Freiburg, Prof. Thomas Hehr, Stuttgart, und Prof. Daniel Zips, Tübingen/Berlin, die
Kongresspräsidenten des 28. Kongress der DEGRO im Gespräch.

Welche Rolle nimmt die Strahlentherapie in der Krebstherapie ein?
Prof. Grosu: Die Strahlentherapie ist aus der multimodalen Krebstherapie nicht mehr wegzudenken,
im Gegenteil, ihre Bedeutung nimmt zu. Es gibt immer mehr Tumorarten, bei denen die
Strahlentherapie sehr effektiv und gleichzeitig nebenwirkungsarm als erste Therapie der Wahl
eingesetzt wird. Beispiel Prostatakrebs: Die Strahlentherapie führt zu weniger Inkontinenz und
Impotenz als die Operation, ist aber hinsichtlich der Heilungsrate nicht unterlegen.
Hinzukommt: Die Strahlentherapie ist ein wichtiger „Sparringpartner“ der anderen Krebstherapien,
seit langem ist bekannt: Kombiniert man die Strahlentherapie zur Chemotherapie kann das bei vielen
Krebserkrankungen zu einer besseren Tumorkontrolle und Heilung führen. Es gibt mittlerweile
genaue Protokolle für jede Tumorart, welche Therapiekombination in welcher Reihenfolge mit der
besten Aussicht auf Heilung verbunden sind. Dieses Wissen ist in Handlungsempfehlungen, den
sogenannte Leitlinien, dargelegt.

Sparringpartner ist ein interessanter Begriff – aber hat die Strahlentherapie auch noch eine
Bedeutung, wenn ganz moderne Krebsmedikamente zum Einsatz kommen?
Prof. Zips: Ja, absolut! Beispielsweise haben die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren bei vielen
Tumorarten eine Wende in der Krebstherapie gebracht. Sie können bei einigen Tumorarten, die
vorher unheilbar waren, das Wachstum lange unterbinden. Wir wissen nun, dass diese
Medikamente, wenn sie in Kombination einer Strahlentherapie gegeben werden, noch erfolgreicher
sein können. Man kann vereinfacht sagen, dass die Strahlentherapie die krebshemmende Wirkung
der Checkpoint-Inhibitoren katalysieren kann.

Die Strahlentherapie wird auch oft bei Metastasen eingesetzt – warum ist das der Fall?
Prof. Hehr: Zum einen hat die Strahlentherapie den Vorteil, dass sie schonend und
nebenwirkungsarm ist. Wenn ein Mensch schwer an Krebs erkrankt und eine Heilung ausgeschlossen
ist, macht es wenig Sinn, die Verlangsamung des Tumorwachstums zu Lasten der Lebensqualität
‚einzukaufen‘. Die Strahlentherapie kann hingegen das Tumorwachstum bremsen, und zwar ohne wie
z.B. eine Chemotherapie den gesamten Körper extrem zu belasten.
Prof. Grosu: Auch sollte man wissen: Metastasierung hieß früher, dass keine Heilung mehr möglich
ist. Heute ist das pauschal so nicht mehr der Fall. Es gibt zahlreiche Patienten, bei denen vereinzelte
Metastasen behandelt werden können, und zwar mit dem Ziel der Heilung. Die Strahlentherapie
verzeichnet hier große Erfolge: Vereinzelte Hirnmetastasen, die oft nicht operiert werden können,
sind gut bestrahlbar und können dank der neuesten Technik ‚ausradiert‘ werden, ohne dass das
umliegende Hirngewebe Schaden nimmt.

Welche Fortschritte gibt es im Bereich der Strahlentherapie, die auf dem Kongress vorgestellt
werden?
Prof. Grosu: Auch in der Strahlentherapie geht der Trend hin zur personalisierten Medizin. „One size
fits all“ hat ausgedient. Radiologische Bilddaten erlauben heute Aussagen über
Gewebeeigenschaften, Diagnosen und Krankheitsverläufe einer Tumorerkrankung – man fasst das
unter dem Stichwort ‚Radiomics‘ zusammen – und je nach Prognose kann die Strahlendosis
individuell an diese Gegebenheiten angepasst werden.
Ganz aktuell wird die Einbindung von Künstlicher Intelligenz beim Berechnen der Strahlendosis und
des Bestrahlungsfeldes erforscht. Wir erleben hier gerade einen Quantensprung, die Digitalisierung
führt die Strahlentherapie in eine neue Ära.

Die Radioonkologie ist ohnehin ein hochtechnisiertes Fach und der Technisierungsgrad nimmt noch
immer weiter zu – entfremdet das letztlich nicht Ärzte und Patienten?
Prof. Zips: Im Gegenteil, die Technik führt dazu, dass wir Radioonkologen uns mehr und intensiver
dem Patienten zuwenden können. Musste man früher alles selbst berechnen, was höchste
Konzentration und viel Zeit gebunden hat, kann man das nun der künstlichen Intelligenz überlassen
und hat deutlich mehr Vakanzen, sich dem Patienten zu widmen und ihm zuzuhören. Die häufige
Polarisierung von technischer versus „menschlicher“ Medizin ist auch völlig überholt, heute nutzen
wir die Technik schließlich auch, um die Patienten kommunikativ anzubinden und in jeder Situation
den Austausch zwischen Arzt und Patient zu ermöglichen. Der Patient wird zunehmend aktiv
eingebunden. In der Strahlentherapie werden derzeit z.B. spezielle Apps entwickelt, in die der Patient
nach der Behandlung nach Feedback gefragt wird, auch nach Nebenwirkungen. Diese Information
fließt dann direkt bei der nächsten Bestrahlung ein. Beispiel: das Areal, wo es zu einer Nebenwirkung
kam, wird dann bei der nächsten Sitzung mit einer geringeren Dosis bestrahlt.

Die Patientenpartizipation spielt auch auf dem Kongress eine große Rolle. Warum?
Prof. Hehr: Die Radioonkologie arbeitet seit langem mit Patienten zusammen, bindet sie auch ein,
wenn es um das Auflegen großer Studienprojekte geht. Das ist wichtig, denn die Einbindung von
Patienten erweitert die Sichtweise auf ein Forschungsfeld und gibt wichtige Impulse. Umgekehrt
profitieren die Patienten ganz direkt von der Einbindung und Auseinandersetzung mit
Therapieoptionen: Es gibt Studien, die zeigen, dass informierte Patienten eine bessere Prognose
haben. Wir Radioonkologen arbeiten daher auf Augenhöhe mit unseren Patienten zusammen.

DEGRO-Pressestelle
Dr. Bettina Albers
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