Neue Therapiealternative beim Rektumkarzinom: Eine umfassende Patientenaufklärung ist erforderlich

Auf dem amerikanischen Krebskongress wurden die Ergebnisse der amerikanischen PROSPECT-Studie vorgestellt. Diese ergab eine neue Therapiealternative für eine Subgruppe von Patientinnen und Patienten mit Rektumkarzinom. Statt einer Radiochemotherapie kann auch eine alleinige, aber intensivere Chemotherapie zum Einsatz kommen. Beide Therapiewege haben eine vergleichbare Wirkung, aber ein unterschiedliches Nebenwirkungsprofil, weshalb Betroffene befähigt werden müssen, eine informierte Therapieentscheidung zu treffen. Grundlage dafür ist die Einbindung radioonkologischer Expertinnen und Experten bei der Patientenaufklärung.

Die multimodale Behandlung des Rektumkarzinoms unterliegt seit mehr als zwei Jahrzehnten einer stetigen Ausdifferenzierung in Diagnostik und Therapie mit unterschiedlichen Therapiezielen sowie Risiken und Nebenwirkungen, deren Abwägen Grundlage einer partizipativen Entscheidungsfindung („shared desicion making“) ist. Prinzipiell stehen unterschiedliche Kombinationen der Chirurgie, der Radio- und der Chemotherapie zur Verfügung. Das Paradigma einer Standardbehandlung („one-size-fits-all“) wird dabei zunehmend durch Therapiealternativen abgelöst, die sowohl den klinischen und molekularen Tumor-Charakteristika wie den individuellen Präferenzen der Patientinnen und Patienten angepasst werden können.

Die PROSPECT-Studie untersuchte für eine Subgruppe von Patientinnen und Patienten mit intermediären Risikoprofil (cT2/3N1, cT3N0, radialer Abstand zur mesorektalen Faszie > 3mm), die sich aufgrund der Tumorlage für eine schließmuskelerhaltende Operation eigneten, ob eine neoadjuvante Kombinations-Chemotherapie mit nur selektiven Einsatz der Radiochemotherapie einer generellen neoadjuvanten Radiochemotherapie hinsichtlich des krankheitsfreien Überlebens nicht-unterlegen ist. Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen Tumorcharakteristika (T4, N2, Abstand zur mesorektalen Faszie ≦ 3mm, tiefsitzende Tumore, bei denen der Schließmuskel operativ nicht erhalten werden kann) waren ausgeschlossen. Nach erfolgter radikaler Operation war die weitere Therapie freigestellt, empfohlen war von der Studienleitung die adjuvante Chemotherapie mit FOLFOX. 1

Die Studie konnte zeigen, dass für diese Subgruppe von Patientinnen und Patienten beide Therapiestrategien zu einer exzellenten lokalen Tumorkontrolle (<2% Lokalrezidive) sowie einem fast identischen krankheitsfreien Überleben und Gesamtüberleben (ca. 80% bzw. 90% nach 5 Jahren in beiden Therapiegruppen) führten.

Unterschiede traten allerdings in Art und Ausprägung von Nebenwirkungen auf. Diese waren unter neoadjuvanter Kombinations-Chemotherapie deutlich ausgeprägter (Grad 3-4: 41% versus nur 22.8%

unter neoadjuvanter Radiochemotherapie) und betrafen insbesondere eine Neutropenie sowie Neuropathie, während eine Diarrhoe häufiger bei der generellen Radiochemotherapie auftrat. Auch die Patientinnen und Patienten selbst berichteten während der Therapie sowie ein Jahr nach Operation von einem unterschiedlichen Beschwerdebild: Unter neoadjuvanter Chemotherapie waren u.a. Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit/Erbrechen, Sensibilitätsstörungen, Depression/Ängstlichkeit ausgeprägter, während gastrointestinale Beschwerden häufiger bei der neoadjuvanten Radiochemotherapie berichtet wurden. Nach einem Jahr war die Angaben zur generellen Lebensqualität in beiden Armen identisch, bezüglich der Sexualfunktion berichteten bestrahlte Patientinnen und Patienten allerdings über mehr Beschwerden. Wichtige Daten zu Langzeit-Nebenwirkungen liegen derzeit noch nicht vor [1, 2].

„Die PROSPECT-Studie erweitert die Therapieoptionen der multimodalen Behandlung des Rektumkarzinoms für eine klinisch und bildgebend definierte Subgruppe mit apriori niedrigem Lokalrezidivrisiko“, fasst der Sprecher der Deutschen Rektumkarzinom-Studiengruppe, Prof. C. Rödel, zusammen. „Bei identischen Tumorkontrollraten durch beide Strategien können in Zukunft die unterschiedlichen therapeutischen Begleiterscheinungen und Beschwerdebilder als Grundlage einer partizipativen Entscheidungsfindung mit Patientinnen und Patienten dienen. Darin liegt die Stärke dieser Studie“, so Prof. Rödel. „Kritisch anzumerken ist allerdings“, ergänzt Prof. E. Fokas, Co-Sprecher der Deutschen Rektumkarzinom-Studiengruppe, „dass die PROSPECT-Studie vor mehr als 10 Jahren konzipiert wurde und daher einige moderne Aspekte der radioonkologischen Behandlung des Enddarmtumors nicht berücksichtigen konnte.“

So haben moderne radioonkologische Strategien zur Behandlung des Rektumkarzinoms in den zurückliegenden 10 Jahren sehr erfolgreich das Konzept des Funktions- und Organerhalts entwickelt. Dabei wird abhängig vom Therapieansprechen auf eine optimierte Radiochemotherapie mit oder ohne neoadjuvanter Chemotherapie (sogenannte totale neoadjuvante Therapie) auf die radikale Operation verzichtet und die Patientinnen und Patienten in ein „Watch-and-Wait“-Programm überführt. „Daten aus aktuellen Studien zeigen, dass diese moderne Strategie bei Patientinnen und Patienten in 50% bis 80% zu einem langfristigen Organerhalt ohne Operation bei sehr gutem Funktionserhalt und Lebensqualität führt, so Prof. C. Gani, Studienleiter der jüngsten Studie der Deutschen Rektumkarzinom Studiengruppe zu dieser Fragestellung [3, 4]. Diese Aussicht macht für viele Betroffene die Radiochemotherapie als Therapieoption besonders attraktiv und es ist wichtig sicherzustellen, dass Patientinnen und Patienten auch darüber informiert werden.

Vom Gegeneinander-Ausspielen verschiedener Therapieoptionen, wie es z.T. in den sozialen Medien und Medien durch eine verkürzte Wiedergabe und Interpretation der Daten erfolgt, hält die DEGRO nichts. „Um den Kampf gegen Krebs eines Tages gewinnen zu können, müssen alle Disziplinen eng zusammenarbeiten. Unsere Aufgabe ist es, zu erforschen, welche Patientinnen und Patienten von welcher Therapie und Therapieabfolge am meisten profitieren, so dass wir jeder/jedem evidenzbasiert die individuell vielversprechendste Behandlung anbieten können“, erklärt DEGRO-Präsidentin Prof. Dr. Cordula Petersen. „Bei nach aktuellem Wissensstand gleichwertigen Behandlungsoptionen ist es wichtig, die Betroffenen umfassend zu informieren und sie über die Vor-und Nachteile der verschiedenen Therapiewege detailliert aufzuklären.“

Dass die neuen Daten z.T. so interpretiert wurden, als könne auf die Radiotherapie in dieser Situation verzichtet werden, erstaunt die Expertinnen und Experten: „Es handelt sich um eine Nicht-Unterlegenheitsstudie. Die Studie zeigte daher lediglich: Es gibt eine neue, wahrscheinlich gleichwertige Therapieoption, was Langzeitdaten noch bestätigen müssen. Sie erweitert das Behandlungsspektrum und gibt Betroffenen Entscheidungsspielräume, was wir per se begrüßen“, lautet die Einschätzung der DEGRO-Präsidentin.

Auch dürfe das Ergebnis der US-Studie in ihrer Aussagekraft für den klinischen Alltag nicht überinterpretiert werden, denn in Europäischen und auch in der Deutschen S3-Leitlinie ist längst verankert, dass bei Patientinnen und Patienten mit apriori niedrigem Lokalrezidivrisiko, wie sie in der PROSPECT-Studie eingeschlossen wurden, die primäre Operation mit adjuvanter Chemotherapie nur bei Nachweis von befallenen Lymphknoten eine valide Therapiealternative ist. „Diese Patientinnen und Patienten werden bei uns in der Regel ohnehin nicht neoadjuvant behandelt, wir erzielen bei ihnen aber ein ähnlich gutes Therapieergebnis. Insofern stellen aus europäischer Sicht beide neoadjuvante Therapiegruppen der amerikanischen PROSPECT-Studie eine potenzielle Übertherapie dar“, so Prof. Fokas.

Literatur

1. Schrag D, Shi Q, Weiser MR, et al. Preoperative Treatment of Locally Advanced Rectal Cancer. N Engl J Med. 2023 Jun 4. doi: 10.1056/NEJMoa2303269. Online ahead of print. PMID: 37272534
2. Basch E, Dueck AC, Mitchell SA, et al. Patient-Reported Outcomes During and After Treatment for Locally Advanced Rectal Cancer in the PROSPECT Trial (Alliance N1048). J Clin Oncol. 2023 Jun 4:JCO2300903. doi: 10.1200/JCO.23.00903. Online ahead of print. PMID: 37270691
3. Garcia-Aguilar J, Patil S, Gollub MJ, et al. Organ Preservation in Patients With Rectal Adenocarcinoma Treated With Total Neoadjuvant Therapy. J Clin Oncol. 2022 Aug 10;40(23):2546-2556.
4. Gerard JP, Barbet N, Schiappa R, et al. Neoadjuvant chemoradiotherapy with radiation dose escalation with contact x-ray brachytherapy boost or external beam radiotherapy boost for organ preservation in early cT2-cT3 rectal adenocarcinoma (OPERA): a phase 3, randomised controlled trialLancet Gastroenterol Hepatol. 2023 Apr;8(4):356-367.
5. https://www.telegraph.co.uk/news/2023/06/04/bowel-cancer-patients-avoid-radiotherapy-without-risk/

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