Innovationen im Bereich der Strahlentherapie: Neues vom DEGRO-Kongress

20. Juni 2023

Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), der am Donnerstag in Kassel eröffnet wird, werden wegweisende Innovationen im Bereich der Strahlentherapie vorgestellt. Das Spektrum reicht von einer neuen Bestrahlungstechnik – sog. Mikrostrahltechnologie – über neue pharmakologische Begleittherapien bis hin zu komplementären Ansätzen zur Reduktion von Nebenwirkungen. Die Deutsche Krebshilfe fördert aktuell eine Studie zu Atem- und Entspannungstraining zur Reduktion unerwünschter kardialer Therapiefolgen bei Brustkrebspatientinnen.

Die Radioonkologie ist ein technikaffines Innovationsfach, das sich seit den Anfängen der medizinischen Strahlentherapie in den 1950er-Jahren zu einer Hochtechnologie entwickelt hat. Digitalisie-rung, digitale Anwendungen, künstliche Intelligenz/KI, Deep Learning oder Mustererkennung wurden längst im klinischen Alltag implementiert. Bei der stereotaktischen Bestrahlung erfolgen vorab anhand von Röntgen- und CT-Bildern eine detaillierte 3D-Planung und die Berechnung der Dosis und des Bestrahlungsfelds („virtuelle Simulation“) bei maximal möglicher Schonung von gesundem Gewebe. Die moderne Hochpräzisionsbestrahlung ermöglicht dann die punktgenaue, hoch dosierte stereotaktische Bestrahlung von Tumoren und auch von Metastasen. Grundsätzliches Ziel jeder radioonkologischen Entwicklung ist die Steigerung der Therapieeffizienz bei gleichzeitiger Reduktion der Nebenwirkungen.

Ein ganz aktuelles Beispiel dieses Bemühens ist die „Mikrostrahltherapie“, die sogenannte Submil-limeter-Strahlung verwendet (Bereich von 500–700 μm) mit kreisförmigen oder regelmäßigen poly-gonalen Querschnitten. „Die Mikrostrahltherapie könnte die Krebstherapie revolutionieren, denn gegenüber konventioneller Therapiestrahlung ist der wichtigste Vorteil der Mikrostrahltherapie eine deutlich niedrigere Toxizität bei gleichzeitig guter Tumorkontrolle“, erklärte DEGRO-Pressesprecherin Univ.-Prof. Dr. Stephanie Combs. Am Klinikum rechts der Isar wurde nun der erste Prototyp einer geeigneten Röntgenquelle für die Mikrostrahltherapie installiert und wird einer dosimetrischen Validierung unterzogen. Auch wurde eine Planungssoftware (Dosisberechnungsalgorithmus) erstellt, die die Therapieplanung ermöglicht. Auf dem Kongress stellt die Münchner Arbeitsgruppe die ersten Ergebnisse vor [1]: Mit dem Prototyp können Mikrostrahlen mit einer Dosisrate von ca. 12 Gy/s, einer Leistung von 90 kW und einer Strahlqualität von 300 kVp im Isozentrum erzeugt werden. Um die Mikrostrahl- mit der konventionellen Strahlentherapie zu vergleichen, wird das Konzept der homogenen Äquivalenzdosis (EUD/„Equivalent Uniform Dose“) genutzt; die EUD-Verteilungen waren dabei mit den konventionellen Dosisverteilungen vergleichbar. „Als Nächstes ist geplant, eine erste klinische Anlage zu bauen, die Dosisraten > 100 Gy/s bei einer Strahlqualität von 600 kVp erreicht“, erklärt Prof. Combs.

Neben technischen Innovationen gibt es auch pharmakologische, die flankierend eingesetzt werden, um bei reduzierter Dosis Tumorzellen maximal anzugreifen. So können Krebszellen durch „Radiosensitizer“ strahlenempfindlicher gemacht werden. Eine Arbeitsgruppe aus Halle stellt Daten zu einem

neuen Radiosensitizer für die Strahlentherapie des Mammakarzinoms vor [2]. Es handelt sich um ein Betulin-AZA-Konjugat. Im Ergebnis erwies sich Substanz als effektiv in der Radiosensitivierung der Krebszellen unter Hypoxie – normalerweise sprechen hypoxische Tumoren schlechter auf Chemo- oder Strahlentherapie an. Zusätzlich reduzierte die Gabe Klonogenität und Migration der Tumorzellen, führte zur Zelltodinduktion und zur Bildung von Sauerstoffradikalen. Zurzeit laufen sogar Untersuchungen, um dieses neue Betulin-AZA-Konjugat als potenzielles Chemotherapeutikum weiter zu untersuchen. „Dies ist ein Beispiel dafür, dass eine radioonkologische Innovation auch außerhalb der Strahlentherapie Bedeutung haben kann“, so die DEGRO-Pressesprecherin.

Auch immunmodulierende Medikamente mit Checkpointinhibitoren haben in Kombination mit einer Bestrahlung synergistische Anti-Tumor-Wirkungen. Neu ist allerdings die Erkenntnis, dass die Hinzunahme weiterer moderner Krebsmedikamente diesen Effekt umkehren kann. Aktuelle Daten, die auf dem Kongress präsentiert werden [3], zeigen, dass Januskinase-Inhibitoren im Rahmen einer Radioimmuntherapie die tumorantigenspezifische CD8+-T-Zellantwort und somit die systemischen antitumoralen Effekte reduzieren. Das Autorenteam mahnt daher zur Vorsicht bei dieser Therapiekombination.

Auf dem DEGRO-Kongress werden neben technologischen und pharmakologischen Innovationen auch innovative Ansätze im Bereich der Prophylaxe und Reduktion von Nebenwirkungen von Radio-therapien vorgestellt. So besteht bei der Bestrahlung eines linksseitigen Mammakarzinoms das Problem, dass das Herz in Mitleidenschaft gezogen und es zu Durchblutungsstörungen der Koronararterien kommen kann. Bekannt ist: Das Risiko ischämischer Koronarereignisse steigt um 7,4 % pro Gray. Die Strahlenbelastung auf das Herz kann durch tiefes Einatmen (DIBH) während der Bestrahlung reduziert werden. Ziel der geplanten B-REST-Studie einer Arbeitsgruppe aus München, deren Studienprotokoll nun vorgestellt wird [4], ist es, die DIBH zu vereinfachen und zu vereinheitlichen, um die kardiale Strahlendosis bestmöglich zu reduzieren. Dabei wird ein gezieltes Atemübungstraining der Behandlung vorgeschaltet und mit einem Entspannungstraining mit Musik und Naturgeräuschen kombiniert und mit der DIBH ohne vorheriges Training verglichen. Die Studie wird Daten zu Lebensqualität, Herzdosis-Analysen und Toxizität liefern.

„Die B-REST ist die erste randomisierte, prospektive Studie zur Wirksamkeit einer solchen Interven-tion. Sie wurde von der Ethikkommission der TU München bewilligt und wird durch die Deutsche Krebshilfe gefördert. Wir freuen uns, dass wir auch solche wichtigen komplementären Ansätze wissenschaftlich evaluieren können“, erklärt Prof. Combs.

Literatur

[1] Kim Melanie Kraus, Christian Petrich, Anton Dimroth, Johanna Winter, Mabroor Ahmed, Yating Zhang, Jan Jakob Wilkens, Stephanie E. Combs, Stefan Bartzsch. [VS15-5-jD] Mikrostrahltherapie in Deutschland – auf dem Weg in die Klinik.

[2] Antje Güttler, Elisabeth Schacht, Anne Funtan, Sarah Brandt, Marina Petrenko, Reinhard Paschke, Thomas Müller, Dirk Vordermark, Matthias Bache. [P15-9] Betulin-Acetazolamid-Konjugat – ein CA IX-Inhibitor und Radiosensitizer in Mammakarzinomen in vitro.

[3] Julia Gissibl, Vincent R. Timnik, Hannah Felchle, Sophie M. Nefzger, Caroline N. Walther, Stephanie E. Combs, Julius C. Fischer. [P22-16] Januskinase-Inhibitoren beeinträchtigen die Entwicklung einer Antitumor-Immunantwort nach Strahlen-therapie und Immuncheckpoint-Blockade

[4] Rebecca Asadpour, Sophie Therese Klusen, Nina A. Mayr, Stephanie E. Combs, Kai Borm. [P12-10-jD] Studienprotokoll B-REST: Respirations- und Entspannungstraining bei der adjuvanten Strahlentherapie von Brustkrebs.

 

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