Hippocampusschonende Ganzhirnbestrahlung bei Hirnmetastasen: Endlich eine „Strahlentherapie 2.0“?
Mit 50% sind Hirnmetastasen auch die häufigsten Tumoren des Gehirns. Die Strahlentherapie stellt die zentrale Behandlungsoption für die Betroffenen dar. Mit der „klassischen“ Ganzhirnbestrahlung werden bereits gute Therapieergebnisse erreicht, sie verlängert bei vielen Patienten das Überleben. Sie ist jedoch nicht nebenwirkungsfrei und kann u.a. zu kognitiven Einschränkungen führen. Derzeit wird die hippocampusschonende Ganzhirnbestrahlung mit stereotaktischer Dosiserhöhung auf die Hirnmetastasen untersucht – erhofft werden gleich zwei Effekte. „Sie ist aggressiver gegenüber den Tumorzellen, aber schont die gesunden Hirnzellen, insbesondere im Hippocampus“, erklärt Prof. Anca Grosu, Freiburg. „Wir hoffen auf mehr Wirkung bei weniger Nebenwirkungen“.
Hirnmetastasen treten bei ca. 20-40% aller Krebspatienten in fortgeschrittenen Stadien im Laufe ihrer Erkrankung auf. Mit 50% sind Hirnmetastasen auch die häufigsten Tumoren des Gehirns. Die Standardbehandlung von multiplen Hirnmetastasen ist seit Jahrzehnten die sogenannte Ganzhirnbestrahlung. Dabei wird das gesamte Gehirn (Metastasen wie gesunde Bereiche) mit einer einheitlichen Dosis bestrahlt. Diese Behandlung kann das Überleben der Patienten signifikant verlängern. Allerdings kommt es bei einigen Patienten zu Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit, was auch die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann. Viele Patienten berichten in den ersten Monaten nach einer Ganzhirnbestrahlung von einer deutlichen und merkbaren Verschlechterung des Lernens und der Gedächtnisleistung.
In einer großen randomisierten Multicenter-Studie, der NOA-14/ARO 2015-3/HIPPORAD-Studie, wird nun untersucht, ob die Ganzhirnbestrahlung mit Schonung des Hippocampus, einem Hirnareal, das beim Lernen und Erinnern eine Rolle spielt, mit einer besseren neurokognitiven Funktion der Patienten einhergeht als die „klassische“ Ganzhirnbestrahlung. Wie Studienleiterin Prof. Anca Grosu, Freiburg, ausführt, erhofft man sich mit dem neuen Verfahren weniger unerwünschte neurokognitive Nebenwirkungen.
Zusätzlich könnte die Methode auch zu einer besseren Tumorkontrolle führen. Denn mit der modernen Hochpräzisionsstrahlentherapie ist es nun möglich, zielgenau nur die vorhandenen Hirnmetastasen mit einer erhöhten Strahlendosis (Boost) zu behandeln. „Die Idee ist, den Hippocampus zu schonen und leichzeitig die Intensität der Tumorbehandlung zu erhöhen. Kurz gesagt: Diese Methode ist aggressiver gegenüber den Tumorzellen, trifft aber weniger die gesunden Hirnzellen“, so Professor Grosu.
Professor Dr. Stephanie E. Combs, Pressebeauftragte der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), München, ergänzt: „Die Studie ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer zielgerichteten Strahlentherapie. Wenn die hippocampusschonende Ganzhirnbestrahlung bessere Ergebnisse im Hinblick auf Nebenwirkungen und Tumorkontrolle mit sich bringt, ist das eine innovative Weiterentwicklung in der Behandlung von Hirnmetastasen, dann können wir mit Fug und Recht von einer Strahlentherapie 2.0. sprechen. Die DEGRO ist stolz, dass diese wegweisende Studie in Deutschland initiiert und aufgelegt wurde.“
Die deutschlandweite, multizentrische NOA-14/ARO 2015-3/HIPPORAD-Studie wird von der Deutschen Krebshilfe gefördert. Die Studienergebnisse werden voraussichtlich Anfang 2019 vorliegen.