Welche Therapie? Betroffene sollten sich immer in einem interdisziplinären Tumorzentrum beraten lassen

Bei lokal begrenzten Prostatakarzinomen gibt es mehrere Behandlungsoptionen, die „aktive Surveillance“, die Operation oder die Strahlentherapie. Die beiden Letztgenannten sind mit einem längeren progressionsfreien Überleben verbunden und im Ergebnis weitgehend gleichwertig. Die Aufklärung über Therapiewege erfordert entsprechend eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, die derzeit aber nur in zertifizierten Tumorzentren geleistet wird. Die DEGRO rät alle Betroffenen, vor einer Therapieentscheidung ein zertifiziertes Krebszentrum aufzusuchen.

Die Krebstherapie basiert auf verschiedenen Säulen und je nach individueller Situation und Tumoreigenschaften gibt es häufig unterschiedliche Therapiewege bzw. Behandlungsabfolgen, zwischen denen Patientinnen und Patienten im Verlauf wählen können. Denn auch bei ein- und derselben Krebsart werden nicht alle Betroffenen nach einem Schema behandelt. Bei einigen Tumorarten, z. B. beim lokal (d.h. auf das Organ) begrenzten Prostatakarzinom, gibt von vornherein zwei aus medizinischer Sicht gleichwertige Alternativen für die Ersttherapie.

„Wichtig ist in dieser Situation, dass die Betroffenen gleichwertig über alle Therapiewege aufgeklärt werden. Liegt die Aufklärung aber in der Hand einer Fachdisziplin, kann dieser Anspruch nicht erfüllt werden, da jede Ärztin und jeder Arzt natürlich sein Fachgebiet repräsentiert und auch nur darüber adäquat aufklären kann“, kommentiert Univ.-Prof. Dr. Stephanie E. Combs, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO). Die Expertin empfiehlt Patientinnen und Patienten daher, sich immer in einem zertifizierten Tumorzentrum vorzustellen und beraten zu lassen, da dort jeder Fall interdisziplinär beurteilt und diskutiert wird. Neben Chirurginnen/Chirurgen
sind das Radioonkologinnen/-onkologen sowie Expertinnen/Experten für die medikamentöse Tumortherapie. Kommen zwei Therapien in Frage, erfolgt die Aufklärung an Tumorzentren auch durch beide Fachrichtungen. Dadurch erhalten Patientinnen und Patienten alle notwendigen Informationen über die Vor- und Nachteile beider Therapien, die ihnen überhaupt erst eine informierte Entscheidung ermöglichen.

Es gibt Organkrebszentren, die auf ein Organ spezialisiert sind, außerdem gibt es Onkologische Zentren, die Expertise zu mehreren Tumorarten unter einem Dach vereinen, und die von der Deutschen Krebshilfe geförderten Onkologischen Spitzenzentren (CCC), deren Schwerpunkt auf der Entwicklung neuer Therapiestrategien liegt. „Alle diese zertifizierten Zentren sind gute Anlaufstellen.

Sie weisen sich durch die Zusammenarbeit aller an der Krebstherapie beteiligten Fachdisziplinen aus und erfüllen darüber hinaus weitere wichtige Qualitätskriterien“, erklärt Prof. Combs. Auf der Webseite der Deutschen Krebsgesellschaft kann man nach Zentren in seiner Nähe suchen: https://www.krebsgesellschaft.de/deutsche-krebsgesellschaft/zertifizierung/zentrumssuche.html

Wie wichtig das ist, erläutert die Expertin am Beispiel des Prostatakarzinoms. In der Regel wird die Diagnose in der urologischen Praxis gestellt – also von den operierenden Fachärztinnen und -ärzten – und die Patienten werden dort dann auch über die weitere Therapie beraten. „Es ist leider gar nicht so selten, dass Patienten erst nach der Operation davon erfahren, dass es andere Therapiewege gegeben hätte bzw. dass die anderen Optionen im Hinblick auf die Heilungschancen nicht schlechter sind“, erklärt Prof. Combs.

Denn wenn ein lokal begrenztes Prostatakarzinom diagnostiziert wird, sind unter Berücksichtigung der individuellen Gesamtsituation verschiedene Vorgehensweisen möglich. Dabei gelten die Strahlentherapie und die operative Entfernung der Prostata als gleichwertig bezüglich des Langzeitüberlebens bzw. der Heilungsaussichten. Eine weitere Option ist die sogenannte aktive Überwachung („Active Surveillance“), d.h. es wird zunächst abgewartet und in engmaschigen Kontrolluntersuchungen nach Hinweisen auf eine Tumorprogression gesucht (Tastuntersuchung,
PSA-Anstieg, Bildgebung, Kontrollbiopsien). In diesem Fall oder sobald der Patient es wünscht, wird eine Therapie begonnen.

Die Studie ProtecT („Prostate Testing for Cancer and Treatment Trial“), die im Vorjahr publiziert wurde, evaluierte die verschiedenen Therapieoptionen bei Patienten mit durch einen PSA-Test entdecktem, lokal begrenzten Prostatakrebs [1]. 1.643 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen und in drei gleichgroße Gruppen randomisiert (545 Patienten wurden der aktiven Überwachung, 553 der Operation und 545 der Strahlentherapie zugeführt). 1.610 Patienten (98 %) schlossen die Nachbeobachtungszeit ab. Eine lokale Progression wiesen 259 Männer auf (15,8 %); in der Überwachungsgruppe 141/545 (25,9 %), in der OP-Gruppe 58/553 (10, 5%) und in der Strahlentherapie-Gruppe 60/545 (11 %). Zu Metastasen kam es in der Überwachungsgruppe bei 51 Patienten (9,4 %), in der OP-Gruppe bei 26 (4,7 %) und in der Bestrahlungsgruppe bei 27 (5%). Bei 104 Männern (6,3 %) kam es zu Metastasen: 51 (9,4 %) in der Gruppe mit aktiver Überwachung, 26 (4,7 %) in der Prostatektomie-Gruppe und 27 (5,0%) in der Strahlentherapie-Gruppe.

„Die Studie zeigte, dass die aktive Therapie, sei es Strahlentherapie oder Operation, zwar nicht zu einem längeren Leben, aber zu einer längeren progressionsfreien Überlebenszeit geführt hat, was mit einer deutlich besseren Lebensqualität einhergeht. Besonders spannend ist für uns, dass sich auch nach 15 Jahren beim lokal begrenzten Prostatakarzinom kein Unterschied zwischen Strahlentherapie und OP hinsichtlich Metastasierung und Überleben gezeigt hat, beide Therapieverfahren waren in der Langzeitbeobachtung gleichwertig“, kommentiert Prof. Combs. „Wenn die Patienten das aber nicht wissen, werden sie sich natürlich für die Operation entscheiden, obwohl nach dieser Therapie häufiger Harninkontinenz und Potenzstörungen als Langzeitfolgen auftreten können. Die DEGRO
setzt sich daher für eine interdisziplinäre Therapieaufklärung, d.h. eine umfassende und objektive Aufklärung von Betroffenen ein.“

[1] Hamdy FC, Donovan JL, Lane JA et al. Fifteen-Year Outcomes after Monitoring, Surgery, or Radiotherapy for
Prostate Cancer. N Engl J Med 2023 Mar 11. doi: 10.1056/NEJMoa2214122. Online ahead of print.

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