Filmverband – eine vielversprechende Option zur Reduktion der Radiodermatitis
Die akute radiogene Dermatitis ist eine häufige, meist jedoch gering ausgeprägte unerwünschte Nebenwirkung der Strahlentherapie. Bei Patient:innen mit Kopf-Hals-Tumoren, die eine Strahlentherapie bzw. Radiochemotherapie erhalten, kann die Radiodermatitis jedoch mit erheblichen Einschränkungen der Lebensqualität assoziiert sein.
Das klinische Bild der radiogenen Dermatitis besteht aus einem Erythem mit Überwärmung, Juckreiz, Brennen oder Schmerzen (Grad I). Im weiteren Verlauf kann eine trockene Schuppung auftreten (Grad II), oder es kann, insbesondere in den Hautfalten, zu Desquamationen/Erosion (Grad III) bis hin zur Ulzeration (Grad IV) kommen. Ziel der Hautpflege und spezifischen Therapien sind eine Reduktion der Stärke und Ausprägung der Radiodermatitis, Linderung der Symptome bei Eintreten einer Radiodermatitis und die Unterstützung der Abheilung. Es gibt eine Vielzahl von (klinikspezifischen) Pflegehinweisen zur Prophylaxe sowie eine große Zahl von Therapieoptionen bei Eintreten einer Radiodermatitis.
Basierend auf den Ergebnissen älterer Phase 2 und 3 Studien, die eine Reduktion der radiogenen Dermatitis durch die Anwendung von Trolamin (Biafine®) beobachtet haben, wurde diese in Prophylaxe und Therapie an verschiedenen Zentren eingeführt [1, 2]. Im Vergleich zeigten die Phase III-Studien von Fisher et al. und Pommier et al. jedoch weder eine Reduktion der Radiodermatitis durch Trolamin noch eine verringerte Zeit bis zum Auftreten oder verkürzte Dauer der Radiodermatitis ≥ G2 [3, 4]. In der großen Phase III-Studie von Pommier et. al. zeigte die Trolamin-Therapiegruppe sogar signifikant häufiger und stärker ausgeprägte Radiodermatitiden gegenüber den Patientinnen, die Calendula-Creme erhielten [4].
Die vorgestellte Studie untersucht die Anwendung des „Mepitel-Filmverbands“ gegenüber Trolamin bei Patient:innen mit Kopf-Hals-Tumoren, die eine definitive Radiochemotherapie erhielten.
Yan J, Yuan L, Wang J, Li S, Yao M, Wang K, Herst PM. Mepitel Film is superior to Biafine cream in managing acute radiation‐induced skin reactions in head and neck cancer patients: a randomised intra‐patient controlled clinical trial. Journal of medical radiation sciences. 2020 Sep;67(3):208-16.
Methodik und Ergebnisse
Im Rahmen einer prospektiven, randomisierten Studie wurden 44 Patient:innen mit Kopf-Hals-Tumoren untersucht. Auswertbar waren die Daten von 39 Patient:innen (89%), die alle eine definitive Radiochemotherapie bei einem Nasopharynxkarzinom erhielten. Alle Patient:innen erhielten eine Dosis von 70-74 Gy auf den Primärtumor sowie eine Dosis von 50 Gy auf den Lymphabflussweg des Halses und eine simultane Chemotherapie mit Nedaplatin 25mg/m2 wöchentlich. Nach intraindividueller Randomisierung der Halshälfte wurde der Mepitel Filmverband bzw. 2x täglich Trolamin-Creme ab dem ersten Tag der Strahlentherapie angewendet. Die Radiodermatitis wurde 2-3x wöchentlich unter Radiochemotherapie sowie 1x wöchentlich bis 4 Wochen nach Ende der Radiochemotherapie mittels „Radiation-Induced Skin Reaction Assessment Scale (RISRAS)”, der untersucherklassifiziert Erythem G 0-4 plus patientenklassifiziert Symptomatik (Schmerz, Brennen, Jucken, activities of daily life) zu Summenscore kombiniert, sowie erweiterten RTOG Scores erhoben.
Es zeigte sich eine signifikante Reduktion der Schwere der radiogenen Hautreaktion (kombinierter RISRAS Score) um 30% (P < 0.001), der Inzidenz von feuchter Desquamation (RTOG III°) um 41% (1 versus 3 Patienten) durch die Anwendung des Filmverbands gegenüber der Anwendung von Trolamin -Creme. RTOG G1 18 Patienten (46%) versus 6 (15%), G2a 13 Patienten (33%) versus 9 (23%), und RTOG G2b 7 Patienten (18%) versus 21 (54%)(p < 0.001).
>>>>>>>>>>Tabelle zu Methodik und Ergebnissen der Studie
Kommentar
Diese kleine, randomisierte Studie weist auf den Nutzen der prophylaktischen Anwendung des Filmverbands gegenüber Trolamin Creme in der Prophylaxe und Therapie der Radiodermatitis bei Patient:innen mit Kopf-Hals-Tumoren hin. Es konnte eine signifikante Reduktion der Schwere der radiogenen Hautreaktion (kombinierter RISRAS Score) und untersucherklassifizierter RISRAS score. Bemerkenswert ist, dass die Reduktion der Radiodermatitis sich vor allem in einem hohen Prozent an RTOG G1 in der Filmverbandgruppe zeigte ( kein prädefinierter Endpunkt). Die Inzidenz von feuchter Desquamation (CTC III°) war so niedrig, dass eine sichere Aussage zu diesem Endpunkt nicht möglich ist. Zu den Stärken der Studie gehört, dass die Hauptrisikofaktoren Hautdosis und Chemotherapie kontrolliert und in beiden Gruppen gleich waren.
Wertvoll war auch die Befragung der Patient: innen zur Akzeptanz. Der Filmverband wurde von 80% der Patient:innen bevorzugt, aber während der Heißwetterperiode schlecht toleriert.
Dennoch müssen einige Limitierungen bedacht werden: Die Compliance der 2x täglichen Anwendung von Trolamin-Creme wurde nicht untersucht sowie eine Therapie der auftretenden Hautreaktionen nicht definiert oder berichtet. Sollte eine (effektive) Therapie durchgeführt worden sein, hat dies Auswirkungen auf den primären Endpunkt, der als Durchschnitt aller Messpunkte während und nach Radiotherapie erfasst wird, sowie auf die Inzidenz der G3-Radiodermatitis. Die Messzeitpunkte waren während Strahlentherapie nicht stringent definiert, Angaben zu Häufigkeit und Compliance mit Messungen fehlen. Die Summation aller scores über die gesamte Beobachtungszeit fasst die Prophylaxe (Verzögerung oder Verhinderung einer definierten Hautreaktion) mit der Therapie und Abheilung der Hautreaktion zusammen – ein pragmatischer und klinisch verständlicher Ansatz. Interventionsbedingt war eine Verblindung der Patient:innen und Untersucher nicht möglich.
2018 wurde erstmals die Anwendung eines Filmverbands (Mepithel®) bei Patient:innen mit Kopf-Hals-Tumoren in einer binationalen Studie untersucht [5]. Hier konnte eine Reduktion der RISRAS Scores um 29% bzw. 27% in chinesischen bzw. bei neuseeländischen Patient:innen beobachtet werden. In einer multizentrisch, randomisierten Studie (RAREST-01) sollte basierend auf den vielversprechenden Ergebnissen der kleineren Studien, die Anwendung des Filmverbands (Mepithel®) in einem größeren Kollektiv mit 168 Patient:innen gegenüber der Standtherapie verglichen werden [6]. Nach einer Interimsanalyse bei 57 Patient:innen zeigte die Anwendung des Filmverbands keinen Vorteil gegenüber der Standardtherapie (Radiodermatitis Grad ≥2: 34.8 und 65.2% (Filmverband) vs. 35.7 und 59.3% (Standardvorgehen) bei 50 bzw. 60Gy (p= 1.00, p = 0.77). Weiterhin konnten 46% der Patient:innen nach Randomisierung zur Anwendung des Filmverbandes diesen nicht dauerhaft tolerieren, sodass die Studie nach der Interimsanalyse abgebrochen wurde [7].
Die Anwendung von Trolamin (Biafine®) Creme wird kontrovers diskutiert. Einige Zentren empfehlen die Anwendung basierend auf den Ergebnissen älterer Phase 2 und 3 Studien, die eine Reduktion der radiogenen Dermatitis durch die Anwendung von Trolamin (Biafine®) beobachtet haben [1, 2]. Andere Phase-III Studien konnten diesen Effekt nicht nachweisen [3, 4]. Pommier et al. fanden sogar signifikant häufiger und stärker ausgeprägte Radiodermatitiden der Trolamin (Biafine®) -Therapiegruppe gegenüber der Patientengruppe, die Calendula-Creme erhielten [4].
Basierend auf den vielversprechenden Ergebnissen der hier vorgestellten Studie sollte die Anwendung des Filmverbandes zur Prophylaxe und Therapie der Radiodermatitis bei Kopf-Hals-Tumorpatient:innen weiter untersucht werden. Aufgrund der unbefriedigenden Ergebnisse der RAREST-01 Studie kann keine generelle Empfehlung zur prophylaktischen Anwendung des Filmverbandes gegeben werden. Ausgesuchte Kopf-Hals- Tumorpatient:innen können dennoch von dieser Therapieoption profitieren, sodass weiterführende Studien geplant und durchgeführt werden sollten.
Literatur
- Abbas H, Bensadoun R-J (2012) Trolamine emulsion for the prevention of radiation dermatitis in patients with squamous cell carcinoma of the head and neck. Supportive Care in Cancer 20:185–190
- Wang R, Wu F, Wang D, Liu K (2008) Clinical effect of Biafine in preventing and treating radioactive skin destruction of nasopharyngeal carcinoma patients caused by concurrent intensity-modulated radiotherapy and chemotherapy. Chinese Journal of Clinical Oncology 5:58–63
- Fisher J, Scott C, Stevens R, Marconi B, Champion L, Freedman GM, Asrari F, Pilepich M, Gagnon JD, Wong G (2000) Randomized phase III study comparing Best Supportive Care to Biafine as a prophylactic agent for radiation-induced skin toxicity for women undergoing breast irradiation: Radiation Therapy Oncology Group (RTOG) 97-13. International Journal of Radiation Oncology* Biology* Physics 48:1307–1310
- Pommier P, Gomez F, Sunyach M, D’hombres A, Carrie C, Montbarbon X (2004) Phase III randomized trial of Calendula officinalis compared with trolamine for the prevention of acute dermatitis during irradiation for breast cancer. Journal of clinical oncology 22:1447–1453
- Wooding H, Yan J, Yuan L, Chyou T-Y, Gao S, Ward I, Herst PM (2018) The effect of Mepitel Film on acute radiation-induced skin reactions in head and neck cancer patients: a feasibility study. The British Journal of Radiology 91:20170298
- Narvaez C, Doemer C, Idel C, Setter C, Olbrich D, Ujmajuridze Z, Carl JH, Rades D (2018) Radiotherapy related skin toxicity (RAREST-01): Mepitel® film versus standard care in patients with locally advanced head-and-neck cancer. BMC cancer 18:1–5
- Rades D, Narvaez CA, Splettstößer L, Dömer C, Setter C, Idel C, Ribbat-Idel J, Perner S, Bartscht T, Olbrich D (2019) A randomized trial (RAREST-01) comparing Mepitel® Film and standard care for prevention of radiation dermatitis in patients irradiated for locally advanced squamous cell carcinoma of the head-and-neck (SCCHN). Radiotherapy and Oncology 139:79–82