Hyperbare Sauerstofftherapie bei Spätfolgen nach Brustkrebstherapie
Die Hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT) wurde zur Therapie diverser chronischer radiogener Nebenwirkungen angewendet z.B. bei schwerer Proktitis, Zystitis, Fibrose und/oder Lymphödem nach Brustbestrahlung, Plexus brachialis-Läsion oder Osteoradionekrose zur Vermeidung erneuter operativer Eingriffe [1, 2]. Die Evidenzlage zur Therapie der Fibrose und oder Lymphödem nach adjuvanter Radiotherapie bei Brustkrebs ist limitiert und widersprüchlich (Review Meier et al. 2023). Vermutet wird, dass unter anderem die HBOT durch die erhöhte Sauerstoffspannung die Angiogenese stimuliert und die Entwicklung der Fibrose verhindert bzw. revidiert [3].
Die vorliegende Studie unterstützt mit hochwertigen Daten die HBOT für Patientinnen mit Schmerzen und Fibrose nach Mammakarzinomtherapie.
Mink van der Molen DR, Batenburg MC, Maarse W, van den Bongard DH, Doeksen A, de Lange MY, van der Pol CC, Evers DJ, Lansdorp CA, van der Laan J, van de Ven PM. Hyperbaric Oxygen Therapy and Late Local Toxic Effects in Patients With Irradiated Breast Cancer: A Randomized Clinical Trial. JAMA Oncology, published online February 8, 2024. doi:10.1001/jamaoncol.2023.6776 (free access)
Methodik und Ergebnisse
Im Rahmen eines Trial within cohorts (HONEY, NCT04193722) innerhalb einer multizentrischen, niederländischen UMBRELLA-Studie wurden 189 Patientinnen mit mäßigen bis starken Schmerzen der Brust, Thoraxwand oder Schulter, die zudem ein mildes bis schweres Ödem oder Fibrose oder Armbewegungseinschränkungen 12 Monate nach adjuvanter Bestrahlung bei Brustkrebs aufwiesen, eingeschlossen [4]. Patientinnen, die in HBOT-Arm randomisiert wurden, wurde die HBOT angeboten, die Kontrollgruppe erhielt eine Standardtherapie (undefiniert). Die HBOT bestand aus 30 bis 40 Sitzungen über einen konsekutiven Zeitraum für 6 bis 8 Wochen. Endpunkt der Studie war Anteil der patientenberichteten Schmerzen 3-4 (auf Likert-Skala 1-4 (keine, gering, mäßig, stark) 6 Monate nach Randomisation). Sekundäre Endpunkte waren die patientenberichtete Fibrose, Ödeme, Armbewegungseinschränkung und die Lebensqualität mit Zusammenstellung einzelner Fragen aus validierten EORTC- und CTCAE-Fragebögen sowie ärztliche Beurteilung von schmerz (Likert Skala) und Fibrose etc. nach CTCAE
Nur 31 (25%) der Patientinnen im Interventionsarm akzeptierten die angebotene HBOT durch. Der häufigste Grund für eine Ablehnung der HBOT war die hohe Behandlungsintensität (70 Pat.)
In der Intent to treat-Analyse (ITT) berichteten 58 von 115 Frauen (50 %) im Interventionsarm und 32 von 52 Frauen (62 %) im Kontrollarm über mäßige oder starke Schmerzen bei der Nachuntersuchung berichtet (Odds Ratio [OR] 0,63; 95% KI, 0,32-1,23; p = 0,18). Um die hohe Rate an Non-Compliance (Ablehnung der angebotenen HBOT) zu berücksichtigen wurde der Complier Average Causal Effect (CACE- Analyse) berechnet: analog des Effektes bei den „Non-compliers“ in der Interventionsgruppe wurde das Ergebnis in der Kontrollgruppe berechnet für eine verhältnismäßig gleich große Patientinnensubgruppe und dies bei den beobachteten Effekten berücksichtigt (subtrahiert von Ereignissen in der virtuellen Restgruppe „complier“). Wenn die HBOT (oder das Angebot einer HBOT) keinen Effekt hätte, gäbe es keine Differenz zwischen den beobachteten Ergebnissen in den Subgruppen im Interventions – und Kontrollgruppe. Tatsächlich hatten die Patientinnen in den so errechneten vergleichbaren Subgruppen von „Compliers“ im HBOT-Arm signifikant weniger Schmerzen 3-4 32 % (10 von 31) als in der Kontrollgruppe 75 % (9,7 von 12,9) (estimated OR, 0,34; 95 % KI, 0,15-0,80; p = 0,01). In der ITT-Analyse wurde über mäßige oder starke Fibrose bei 35 von 107 (33 %) im Interventionsarm und bei 25 von 49 (51 %) im Kontrollarm berichtet (OR, 0,36; 95 % KI, 0,15-0,81; p = 0,02). Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich Brustödem, Bewegungseinschränkung und Lebensqualität in den ITT- und CACE-Analysen.
>>>>>>>>> Tabelle mit detaillierten Angaben zu Methodik und Ergebnissen der Studie
Kommentar
Dank des Studiendesigns, TwiCs (Trials within Cohorts)-Konzepts im Rahmen der UMBRELLA-Studie, konnte eine für diese Fragestellung große Zahl von 186 Patientinnen randomisiert werden. Das Konzept sieht vor, dass die Patientinnen im Kontrollarm über die Therapieoption nur informiert werden, wenn sie in den Interventionsarm randomisiert werden. Die Daten für die Kontrollgruppe wurden im Rahmen der UMBRELLA-Studie erhoben.
Die Studie verfehlte zwar in der ITT ihren primären Endpunkt, eine Schmerzreduktion durch HBO. Es zeigte sich jedoch in der Subgruppe der Patientinnen, die die HBOT durchführten (25%, 31 Patientinenn), eine Reduktion der Schmerzen, wegen der kleinen Patientinnenzahl nicht signifikant und mit geringer Power. Die hohe „Non-compliance bzw. attrition“-Rate in der Interventionsgruppe wurde statistisch berücksichtigt: zur Vergleichbarkeit des Interventionsarms zur Kontrollgruppe wurde eine Complier Average Causal Effect (CACE-Analyse) durchgeführt, über die detailliert berichtet wird (Supplement). Diese zeigt den Anteil der Patientinnen mit mäßigen oder starken Schmerzen, die eine HBOT abgeschlossen hat, von 32% (beobachtet) versus 75 % in der Kontrollgruppe (berechnet) (estimated OR, 0,34; 95 % KI, 0,15-0,80; p = 0,01). Die Grundvoraussetzung für diese Art der Analyse, ist, dass das Wissen um die Option einer Therapie keinen Effekt hat. Das kann für die Kontrollgruppe ebenso wenig sicher ausgeschlossen werden wie eine hohe Erwartungshaltung und Beeinflussung des Schmerzempfindens in der Interventionsgruppe.
Weiterhin gab es Abweichungen zwischen den Gruppen beim Ausfüllen des Fragebogens (Time-Bias). Die mediane Zeit bis zur Nachbefragung lag bei 8 bis 10 Monaten. Der Einfluß auf die Ergebnisse ist unklar, wahrscheinlich nicht entscheidend.
Schmerz nach zwei lokalen Therapieverfahren (Chirurgie und Strahlentherapie) ist ein komplexer Endpunkt, in den unterschiedliche Mechanismen für Schmerz eingehen können. Für einen Effekt der HBOT auf die radiogenen Nebenwirkungen spricht die signifikante Reduktion einer typischen radiogenen Nebenwirkung in der ITT-Analyse, nämlich der Fibrose. Ähnliches zeigte sich in zwei prospektiven, nicht-randomisierter Studien.
Überraschend ist die niedrige Rate der Inanspruchnahme der HBOT (attrition-bias). Die Autoren geben als Grund die Belastung der Therapie an. Die Nebenwirkungen der HBOT waren erwartbar gering und transient, die Fahrzeiten dürften wegen der hohen Verfügbarkeit von Druckkammern in Holland begrenzt sein. Mögliche Gründe kann die zeitliche Belastung durch die Therapiefrequenz für die Patient:innen, die überwiegend im erwerbsfähigen Alter waren und demgegenüber ein nicht sehr hoher Leidensdruck. Insgesamt wurde nur ein geringer Prozentsatz (2-6%) der Schmerzen wurden als stark eingestuft.
Die Rate an klinisch bedeutsamen Nebenwirkungen der postoperativen Strahlentherapie beim Mammakarzinom ist mit 19% relevant. Weitere klinische Studien zur Vermeidung dieser Effekte durch kritische Indikationsstellungen und Teilbrustbestrahlung sind wünschenswert.
Die Studie trägt zu der Evidenz für den Nutzen der HBOT zur Therapie der Fibrose und des radiogenen Schmerzes bei. Für diejenigen Patientinnen, die die Behandlung konsequent durchführen, ist ein klinisch relevanter Nutzen zu möglich. Der Aufwand ist mit bis zu 40 Fahrten allerdings hoch. Die Indikationsstellung hat sorgfältig zu erfolgen, um hyperbare Traumata durch die HBOT zu vermeiden.
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- Mink van der Molen DRM, Batenburg MC, Maarse W, van den Bongard DH, Doeksen A, de Lange MY, van der Pol CC, Evers DJ, Lansdorp CA, van der Laan J (2024) Hyperbaric Oxygen Therapy and Late Local Toxic Effects in Patients With Irradiated Breast Cancer: A Randomized Clinical Trial. JAMA Oncology, DOI: 10.1001/jamaoncol.2023.6776
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