Plädoyer für topische Glukokortikoide zur Prophylaxe der Radiodermatitis

Die akute radiogene Dermatitis (RD) kann vor allem bei der Radiotherapie (RT) der Mamma, Kopf-Hals-Tumoren und Karzinomen im unteren Becken abhängig von Dosis und Volumen moderat bis ausgeprägt sein und erhebliche Symptomatik (Juckreiz, Brennen, Schmerz) verursachen.
Topische Glukokortikoide wirken antiinflammatorisch, so dass eine Modulation der Strahlenreaktion erwartet werden kann. Mehrere randomisierte, kontrollierte Studien wurden mit topischen Glukokortikoiden unterschiedlicher Potenz durchgeführt. Zu der Wirkstärkenklasse I gehört u.a. Hydrocortison, Klasse II Prednicarbat und zur Klasse III Betamethasonvalerat, Mometasonfuroat und Clobetasopropionat. Die Methodik und Ergebnisse dieser Studien werden in einer tabellarischen Übersicht dargestellt und die methodischen Herausforderungen an Studien zu Prophylaxe oder/und Therapie diskutiert.

Ho, A. Y., M. Olm-Shipman, et al. (2018). „A Randomized Trial of Mometasone Furoate 0.1% to Reduce High-Grade Acute Radiation Dermatitis in Breast Cancer Patients Receiving Postmastectomy Radiation.“
Liao, Y., G. Feng, et al. (2019). „Randomized, self-controlled, prospective assessment of the efficacy of mometasone furoate local application in reducing acute radiation dermatitis in patients with head and neck squamous cell carcinomas”
Meghrajani, C. F., H. S. Co, et al. (2016). „A randomized, double-blind trial on the use of 1% hydrocortisone cream for the prevention of acute radiation dermatitis.“
Menon, A., S. S. Prem, et al. (2021). „Topical Betamethasone Valerate As a Prophylactic Agent to Prevent Acute Radiation Dermatitis in Head and Neck Malignancies: A Randomized, Open-Label, Phase 3 Trial.“
Ulff, E., M. Maroti, et al. (2017). „Prophylactic treatment with a potent corticosteroid cream ameliorates radiodermatitis, independent of radiation schedule: A randomized double blinded study.“
Yokota, T., S. Zenda, et al. (2021). „Phase 3 Randomized Trial of Topical Steroid Versus Placebo for Prevention of Radiation Dermatitis in Patients With Head and Neck Cancer Receiving Chemoradiation.“

Methodik und Ergebnisse

Überwiegend konnte eine Reduktion des Schweregrads der RD in mindestens einem von mehreren Endpunkten gezeigt werden. Nebenwirkungen wie Hautatrophie, Infektionen, Striae wurden im Beobachtungszeitraum nicht gesehen.

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Tabelle zu Methodik und Ergebnissen der Studie

Kommentar

Endpunkt: Die untersuchte Substanz, topisches Glukokortikoid, wird sowohl zur Prophylaxe als auch zur Therapie der RD eingesetzt. Entsprechend sind der Endpunkt und die Therapie bei Auftreten des Endpunkts zu definieren. Die Dauer der RD Grad X ist ein Indikator des Therapieeffektes, nicht der Prophylaxe, wird aber manchmal als komplexer Endpunkt verwandt (Menon, Prem et al. 2021; Yokota, Zenda et al. 2021) ; der Therapieeffekt ist am besten beurteilbar, wenn die Substanzgabe bei Auftreten der RD GX begonnen wird im Vergleich zu einem Placebo.

Der Zeitpunkt der Messung des Endpunktes muss prädefiniert werden. Das ist für die RD eine Herausforderung, da sie sich interindividuell unterschiedlich manifestiert. Üblicherweise wird der Zeitraum bis 2 Wochen nach RT-Abschluss gewählt, da die RD verzögert nach RT auftreten kann. Das gilt vor allem für Hypofraktionierung und wurde bei Ulf et al. durch getrennte Darstellung der Ergebnisse für Norm- und Hypofraktionierung berücksichtigt (Ulff, Maroti et al. 2017). Eine Alternative ist die repeated measures analyses, die den zeitlichen Verlauf über die Zeit darstellt. Sio et al. konnten damit den Effekt der Glukokortikoide in einer großen randomisiert-kontrollierten Studie besser darstellen als mit den klassischen Endpunkten der maximalen RD und Symptomatik (Sio, Atherton et al. 2016).

Für alle diese Analysen gilt, dass die Therapie bei Auftreten des Endpunktes prädefiniert sein sollte; in den vorliegenden Studien von yokota menon meghrajani beschrieben (Meghrajani, Co et al. 2016; Menon, Prem et al. 2021; Yokota, Zenda et al. 2021)bzw. als Fortsetzung der prophylaktischen Maßnahmen und Verzicht auf weitere lokale Maßnahmen (Liao, Feng et al. 2019).

Kontrollgruppe: Methodisch ist ein Placebo in diesem Kontext als Trägersubstanz des Verums, der zu untersuchenden Substanz, definiert. Es muss in Aussehen, Textur und Verpackung mit dem Verum identisch sein – nur in der Studien von (Meghrajani, Co et al. 2016) realisiert. Da Studien zur Supportivtherapie schwer zu finanzieren sind, wird häufig auf eine Kontrolltherapie mit einer als ineffektiv eingeschätzten Substanz ausgewichen (Ulff, Maroti et al. 2017; Ho, Olm-Shipman et al. 2018; Menon, Prem et al. 2021) – dies kann nicht als placebokontrolliert bezeichnet werden. Die postulierte Verblindung ist kritisch zu hinterfragen, da die Substanzen nicht identisch aussehen und von allen Studienbeteiligten identifiziert werden können. Eine Befragung der Teilnehmenden, was sie glauben, erhalten zu haben, wäre hier aufschlussreich.

Die Kontrollgruppe kann entweder eine zweite Patientengruppe sein oder ein sogenannter Seitenversuch, d.h. die Patient:innen applizieren die beiden zu untersuchenden Substanzen  in einer (randomisierten) Lokalisation. In diesem Fall sind die Patient:innen nicht verblindet und die patientenklassifizierten Symptome sind kritisch zu bewerte (Liao, Feng et al. 2019). Es wird postuliert, dass die intraindividuelle Kontrollgruppe eine Beachtung der confounder überflüssig macht. Das setzt voraus, dass ein sehr starker confounder (Dosis, Begleittherapie), der eine Subgruppe betrifft, ausgeschlossen werden kann(Liao, Feng et al. 2019).

Messmethode: Die Interobservervarianz in der Beurteilung der RD ist gut bekannt und sollte berücksichtigt werden: entweder durch Training und Abgleich aller Untersucher vor Studienbeginn, durch Doppeluntersuchung (Liao, Feng et al. 2019), Auswertung einer standardisierten Fotodokumentation durch mehrere Untersucher (Yokota, Zenda et al. 2021) oder durch nur einen Untersucher für alle Messungen (Meghrajani, Co et al. 2016; Ulff, Maroti et al. 2017; Menon, Prem et al. 2021). Auch „objektive“ physikalische Messmethoden können fehlerbehaftet sein durch (unbemerkte) Cremeauflagerungen – vor allem relevant, wenn kein Placebo eingesetzt wird.

Confounder: Zu den Risikofaktoren für höhergradige RD gehören die Hautdosis (Technik, Fraktionierung), die Lokalisation (Falten etc.) und Patientenfaktoren wie großes RT-Volumen der Mamma, Rauchen, Hauttyp, Hautpflege, individuelle genetisch determinierte Strahlensensibilität sowie Ko-therapien.

Vergleichbare Hautdosis wird beschrieben von Liao et al., Ho et al. und Ulff et al. (Referenz-)Dosisangaben wie primäre Radiatio Kopf-Hals-Tumor (≥) 66 Gy sind auch bei 2D-RT weniger aussagekräftig, da sie auf den Primärtumor und nicht auf die beobachtete Hautreaktion bezogen sind (Menon, Prem et al. 2021; Yokota, Zenda et al. 2021).

Das Dilemma besteht in der nötigen Begrenzung auf eine technisch und ökonomisch realisierbare Patientenzahl und der Anforderung an Ausgeglichenheit der confounder mit hohen Patientenzahlen. Die vorgestellten Studien konnten jeweils nur die wesentlichen Aspekte berücksichtigen.

Zusammenfassend sind topische Glukokortikoide effektiv, gut verträglich, gut applizierbar und zu niedrigen Kosten verfügbar. Um das Risiko von unerwünschten Wirkungen der Glukokortikoide niedrig zu halten, ist es sinnvoll, sie vor allem als Prophylaxe in Hochrisikosituationen (hohe RT-Dosis, ungünstige Patientenfaktoren, z.B. Hautfalten, große Mamma, Rauchen) oder frühzeitig in der Therapie einzusetzen. Das zeigten Erridge et al. in einer prospektiven Beobachtungsstudie (Erridge, McCabe et al. 2016). Sie begleiteten die Umstellung des Hautpflegeprotokolls der Universität Edinburgh von „aqueous cream“ und Hydrocortison 1% Creme bei Juckreiz auf Betamethasonvalerat ab ersten Tag der RT bei Patient:innen mit erhöhtem RD-Risiko (Mamma-, Kopf-Hals-Tumor-RT, 3DCRT des Beckens mit BMI>35, Einsatz eines Bolus). Die RD, beurteilt von den Medizinisch-Technischen-Radiologie-Assistenten, und die Symptomatik, beurteilt von den Patient:innen, bei Abschluß und zwei Wochen nach RT waren signifikant um 50-66% reduziert.

Die Substanzen Prednicarbat (Gesicht) und Mometasonfuroat (übriges Integument) sollten wegen des günstigeren Risikoprofils bevorzugt werden.

Literatur

Erridge, S. C., M. McCabe, et al. (2016). „Prospective audit showing improved patient-assessed skin toxicity with use of betamethasone cream for those at high risk of radiation dermatitis.“ Radiother Oncol 121(1): 143-147.

Ho, A. Y., M. Olm-Shipman, et al. (2018). „A Randomized Trial of Mometasone Furoate 0.1% to Reduce High-Grade Acute Radiation Dermatitis in Breast Cancer Patients Receiving Postmastectomy Radiation.“ Int J Radiat Oncol Biol Phys 101(2): 325-333.

Liao, Y., G. Feng, et al. (2019). „Randomized, self-controlled, prospective assessment of the efficacy of mometasone furoate local application in reducing acute radiation dermatitis in patients with head and neck squamous cell carcinomas.“ Medicine (Baltimore) 98(52): e18230.

Meghrajani, C. F., H. S. Co, et al. (2016). „A randomized, double-blind trial on the use of 1% hydrocortisone cream for the prevention of acute radiation dermatitis.“ Expert Rev Clin Pharmacol 9(3): 483-491.

Menon, A., S. S. Prem, et al. (2021). „Topical Betamethasone Valerate As a Prophylactic Agent to Prevent Acute Radiation Dermatitis in Head and Neck Malignancies: A Randomized, Open-Label, Phase 3 Trial.“ Int J Radiat Oncol Biol Phys 109(1): 151-160.

Sio, T. T., P. J. Atherton, et al. (2016). „Repeated measures analyses of dermatitis symptom evolution in breast cancer patients receiving radiotherapy in a phase 3 randomized trial of mometasone furoate vs placebo (N06C4 [alliance]).“ Support Care Cancer 24(9): 3847-3855.

Ulff, E., M. Maroti, et al. (2017). „Prophylactic treatment with a potent corticosteroid cream ameliorates radiodermatitis, independent of radiation schedule: A randomized double blinded study.“ Radiother Oncol 122(1): 50-53.

Yokota, T., S. Zenda, et al. (2021). „Phase 3 Randomized Trial of Topical Steroid Versus Placebo for Prevention of Radiation Dermatitis in Patients With Head and Neck Cancer Receiving Chemoradiation.“ Int J Radiat Oncol Biol Phys 111(3): 794-803.

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