Wirksamkeit von Streptococcus salivarius K12 auf die orale Mukositis bei Patienten unter Bestrahlung der Kopf-Hals-Tumoren
Trotz technologischer Fortschritte ist die orale Mukositis (OM) eine der häufigsten akuten strahlenbedingten Toxizitäten, und etwa 50-70 % der Patienten leiden unter einer schweren oralen Mukositis (SOM), die nach der WHO-Skala als Grad 3-4 definiert ist [1-4].
Das Agens Streptococcus salivarius K12 ist aus der Therapie der Otitis und Pharyngitis als antiinflammatorisch wirksam bekannt. Erstmalig wurde in einer randomisiert-kontrollierten Studie die Prophylaxe der oralen Mukositis bei Kopf-Hals-Tumortherapie mit dem handelsüblichen Probiotikum Streptococcus salivarius K12 geprüft.
Peng et al.: Streptococcus salivarius K12 Alleviates Oral Mucositis in Patients Undergoing Radiotherapy for Malignant Head and Neck Tumors: A Randomized Controlled Trial, J Clin Oncol 42:1426-1435; doi.org/10.1200/JCO.23.00837
Methodik und Ergebnisse
Diese prospektive, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie wurde am West China Hospital der Universität Sichuan durchgeführt. 160 (143 auswertbare) Patient: innen, die eine definitive Strahlentherapie (RT) oder eine adjuvante RT mit einer Dosis von 60-72 Gy mit oder ohne gleichzeitige Chemotherapie erhielten, wurden angewiesen, SsK12- oder Placebo-Lutschtabletten, die in Aussehen, Geschmack und Verpackung identisch waren, dreimal täglich während der gesamten RT-Periode zu lutschen. Zu den Ausschlusskriterien gehörten schlechte Mundhygiene und/oder schwere parodontale Erkrankungen. Die gleichzeitige Chemotherapie bestand aus Cisplatin (100 mg/m2), das alle 3 Wochen verabreicht wurde.
Primärer Endpunkt war die Inzidenz von schwerer oraler Mukositis WHO Grad 3–4 (SOM). Die orale Mukositis (OM) wurde durch geschultes Personal bis acht Wochen nach Abschluss der Strahlentherapie erfasst. Die relevante Flora des Gesamtspeichels wurde zu Beginn der Studie (T0), in der Mitte der Studie (T1, Woche 3) und am Ende der Studie (T2, Woche 6 oder 6,5) untersucht: nach Extraktion der bakteriellen genomischen DNA wurden die hypervariablen Regionen 3–4 des 16S-rRNA-Gens amplifiziert
Die mittlere RT Dosis Mundhöhle, definiert gemäß der Empfehlung von Mir et al. [9]., (42 Gy, Spanne 10-66 Gy), überwiegend adjuvantes RT-Konzept (70% vs 75%), Chemotherapie, Alkolholkonsum, Raucherstatus waren in beiden Gruppen ähnlich.
Die Interventionsgruppe wies im Vergleich zur Kontrollgruppe eine signifikante Reduktion der SOM auf (36 % vs. 54 %; p= 0,0351), insbesondere OM G4 (2,8 vs 15,3%, 1 vs 9 Patienten). Die Dauer der SOM (bezogen auf die Gruppe, nicht die betroffenen Patient: innen) war signifikant kürzer, Median 0,0 Tage vs. 7,0 Tage bzw. Mittelwert 8,9 Tage vs. 18,3 Tage, p= 0,0084. Auch die Zeit bis zur Entwicklung einer SOM war deutlich länger. Gleiches gilt für die orale Mukositis.
Andere klinische Parameter wie Mundtrockenheit, Geschmacksfunktion und die durchschnittlichen wöchentlichen Mouth-Throat-Soreness (MTS) waren nicht signifikant unterschiedlich.
In insgesamt 420 Speichelproben zeigte die Hauptkoordinatenanalyse signifikante Unterschiede in der mikrobiellen Gemeinschaft zu den Zeitpunkten T0 (Baseline), T1 (in der Mittel von Strahlentherapie) und T2 (Ende der Strahlentherapie) innerhalb der beiden Gruppen, jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.
Dagegen nahm die relative Häufigkeit von Streptococcus am Ende der Strahlentherapie in der Placebogruppe signifikant ab, blieb jedoch in der SsK12-Gruppe unverändert. Im Gegensatz dazu nahm die relative Häufigkeit von Selenomonas und Acinetobacter am Ende der Strahlentherapie in der Placebogruppe zu, während sie in der SsK12-Gruppe signifikant abnahm.
Weder die RT-assoziierte Toxizität noch andere Unerwünschte Wirkungen wurden durch die Intervention erhöht.
Siehe auch die Tabelle mit detaillierten Angaben zu Methodik und Ergebnissen der Studie
Kommentar
Neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die oralen Mikrobiota an der strahleninduzierten OM beteiligt sind [5-7]. Die topische Anwendung von SsK12 reduzierte die strahleninduzierte OM bei Mäusen durch die Modulation der oralen Mikrobiota, hauptsächlich durch die Unterdrückung oraler Anaerobier [8].
In dieser ersten klinischen Studie wurde die Wirksamkeit von SsK12 durch eine signifikante Verringerung der Inzidenz und des Schweregrads von SOM bei Patienten mit malignen Kopf-Hals-Tumoren, die sich einer Radio(chemo-)therapie unterziehen, nachgewiesen. Darüber hinaus unterstützten Trends in den sekundären Endpunkten, d.h. Dauer und Zeit bis zum Auftreten von SOM und der OM diese Beobachtung.
Die fehlende Reduktion des Analgetikabedarfs und der weiteren Endpunkte wie MTS und Beeinträchtigung Lebensqualität entsprechend EORTC Kopf-Halsmodul schränken die klinische Bedeutung deutlich ein.
Einige Angaben zum besseren Verständnis der Ergebnisse fehlen. Die Angaben zu MTS beruhen auf einem chinesisch-sprachigen Fragebogen, über dessen Validierung und Aussagekraft keine Auskunft gegeben wird. Die Dosis in der Mundhöhle wurde standardisiert erhoben, jedoch keine Analyse zum Zusammenhang von Dosis und OM durchgeführt. 27 der 71 Patienten von SsK12 Gruppe hatten während der gesamten Strahlentherapie keine Mukositis, was dem klinischen Eindruck im Alltag widerspricht. Weder Tumorlokalisation noch die Dosis in der Mundhöhle können den Unterschied erklären, da in beiden Gruppen kein statistisch signifikanter Unterschied.
Wesentlich für die Aussagen zu OM ist die Adhärenz an die Untersuchungstermine. Diese kann nur teilweise aus einem swimmer plot, der Angaben ausschließlich zu den Patient:innen mit dokumentierter OM macht, abgelesen werden. Einschränkend zeigt sich, dass bei 53 bzw. 56% der Patient:innen mit OM die klinische Untersuchung in Woche 2 statt 8 nach RT-Ende, bei 2 von 26 Patienten in der Interventionsgruppe noch vor Abklingen der SOM endet.
Zusammenfassend weist die Studie daraufhin, dass mit dem auch in Deutschland im Handel erhältlichen Probiotikum Ssk12 die OM reduziert werden kann. Gute Mundhygiene vorausgesetzt, gab es keine Toxizität durch die Substanz selbst. Der klinische Nutzen für die Patient: innen ist jedoch nicht belegt.
Literatur
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- Henke M, Alfonsi M, Foa P, et al: Palifermin decreases severe oral mucositis of patients undergoing postoperative radiochemotherapy for head and neck cancer: A randomized, placebo-controlled trial. J Clin Oncol 29:2815-2820, 2011
- Le QT, Kim HE, Schneider CJ, et al: Palifermin reduces severe mucositis in definitive chemoradiotherapy of locally advanced head and neck cancer: A randomized, placebo-controlled study. J Clin Oncol 29:2808-2814, 2011
- Maria OM, Eliopoulos N, Muanza T: Radiation-induced oral mucositis. Front Oncol 7:89, 2017
- Hou J, Zheng H, Li P, et al: Distinct shifts in the oral microbiota are associated with the progression and aggravation of mucositis during radiotherapy. Radiother Oncol 129:44-51, 2018
- Vesty A, Gear K, Biswas K, et al: Oral microbial influences on oral mucositis during radiotherapy treatment of head and neck cancer. Support Care Cancer 28:2683-2691, 2020
- Zhu XX, Yang XJ, Chao YL, et al: The potential effect of oral microbiota in the prediction of mucositis during radiotherapy for nasopharyngeal carcinoma. EBioMedicine 18:23-31, 2017
- Wang Y, Li J, Zhang H, et al: Probiotic Streptococcus salivarius K12 alleviates radiation-induced oral mucositis in mice. Front Immunol 12:684824, 2021
- Mir R, Kelly SM, Xiao Y, et al: Organ at risk delineation for radiation therapy clinical trials: Global Harmonization Group consensus guidelines. Radiother Oncol 150:30-39, 2020