Proof of Principle: Schonung der Schluckorgane reduziert kurzfristig die Dysphagie
Die radiogene Dysphagie nach Kopf-Hals-Radiotherapie wird durch Xerostomie und auch Veränderungen der Schluckmuskulatur erklärt. Mehrere wegweisende Studien haben die Dosiswirkungsbeziehungen untersucht und Planungsbeispiele zur Dosisreduktion vorgelegt.
Ashour MG, TH Shouman, AH Hassouna et al. Swallowing sparing intensity modulated radiotherapy versus standard parotid sparing intensity-modulated radiotherapy for treatment of head and neck cancer: a randomized clinical trial. Acta oncol. 2022; 61: 134-140
Erstmalig wurde der Effekt der Schonung der Schluckmuskulatur zusätzlich zur Parotisschonung in einer randomisiert-kontrollierten Studie geprüft.
Methodik und Ergebnisse
Patient: innen mit Kopf-Hals-Tumoren erhielten eine primäre (80%) bzw. adjuvante Radio(chemo)therapie mit konventioneller Parotisschonender IMRT (Psch IMRT) oder zusätzlicher Schluckschonender IMRT (Ssch IMRT). Diese wurde nach Erstellung des Psch IMRT-Plans entsprechend Randomisationsergebnis geplant. Die Risikoorgane wurden guideline basiert konturiert (). Endpunkte waren die Dysphagie (beobachteruntersucht) RTOG/EORTC G≥1 sowie in einer Subgruppe als zweiter Endpunkt Dysphagie entsprechend Videofluoroskopie DIGEST G2-4 nach 3,6 und 12 Monaten.
Von 146 Patienten konnten 112 (86%) nach 6 Monaten bzw. 90 (61%) nach 12 Monaten klinisch untersucht werden, davon 49 bzw 23 Patient:innen auch videofluoroskopisch.
Zu allen Zeitpunkten zeigte sich eine signifikant niedrigere Rate an Schluckstörungen in der Interventionsgruppe. Für Patient: innen mit Nasopharynx-Ca (36 Patient:innen) und Larynx/Hypopharynx-Ca (37 Patient:innen) wurde die Dosiswirkungsbeziehung zur Dysphagie nach 6 Monaten untersucht. Eine Dosisreduktion gelang v.a. für den Zungengrund. In beiden Gruppen war die mittlere Dosis des Zungengrundes niedriger bei Dysphagie G0 vs G≥1 (44 bzw 47 Gy vs 52 bzw 57 Gy), bei Nasopharynx-Ca-Patient: innen auch die mittlere Dosis und V55/60/65 im mittleren und inferioren M. constrictor pharyngis sowie supraglottischem Larynx signifikant niedriger.
>>>>>>>>> Tabelle mit detaillierten Angaben zu Methodik und Ergebnissen der Studie
Kommentar
Das Besondere an der Studie ist der Ansatz: es sollte verifiziert werden, dass die planerisch mögliche Reduktion der Dosis im Schluckapparat tatsächlich zu einer Reduktion der Dysphagie führt. Dies ist im Prinzip gelungen mit signifikant mehr Patient: innen ohne Schluckstörung (RTOG/EORTC G0) in der Interventionsgruppe (65 %) versus Kontollgruppe (22 %) 6 Monate und 12 Monate nach Therapieende (60% vs 30%). Das Ergebnis einer Reduktion der Schluckstörung konnte plausibilisiert werden mit Videofluoroskopischer Untersuchung eines Teils der Patient: innen und durch Nachweis einer niedrigeren Dosisapplikation im Zungengrund in der Gruppe der Patient: innen mit Larynx/Hypopharynx- und Nasopharynx-tumoren (bei letzteren zusätzlich in den Mm. constrictor pharyngis sowie supraglottischem Larynx). Eine vergleichbare Studie ist uns nicht bekannt.
Zur Methodik sind einige Bemerkungen zu machen: die Gruppen waren bezüglich Tumorlokalisation und -stadium und Therapie vergleichbar und relativ groß. Jedoch fehlen Angaben zu einer Basisuntersuchung (in Untersuchungen während der Therapie keine signifikante Differenz der Dysphagie) und Analyse möglicher Risikofaktoren, einer Verblindung der Untersuchenden und Angaben zu Gründen der fehlenden Nachuntersuchung. Der Text deutet daraufhin, dass alle Patient: innen, die tumorfrei lebten, untersucht wurden – die Rate von 60% nach 12 Monaten ist für dieses Patientenkollektiv erwartbar. Die Ergänzung des RTOG/EORTC scores durch einen validierten Fragebogen wie beispielsweise der „Vanderbilt Head and Neck Symptom Survey“ (Murphy et al.) wäre wünschenswert gewesen, um ein differenzierteres Bild zu erhalten und die Ergebnisse in ihrer Wertigkeit für die Behandelten einzuordnen.
Die Angaben zu Dosisapplikation in den Schluckorganen sind auf Larynx/Hypopharynx- und Nasopharynxkarzinome beschränkt und selektiv. Daraus kann nicht abgeleitet werden, welche Strukturen des Schluckapparats prioritär geschont werden können oder sollten.
Das Symptom Dysphagie wird von mehreren Mechanismen bestimmt, Xerostomie, Fibrosierung von Strukturen des Schluckapparates, Defektheilung nach Tumoroperation oder Tumorremission, möglicherweise Innervationsstörung. Der confounding factor Xerostomie wurde nicht berichtet, wurde aber durch die Planungsvorgaben konstant gehalten. Die Nachbeobachtungszeit von einem Jahr in dieser Studie ist relativ kurz für die Erfassung Fibrosebedingter Störungen, die sich meist erst nach Jahren manifestieren.
Zusammenfassend unterstützt die Studie die Notwendigkeit, Strukturen des Schluckapparates zu schonen. Andere Studiengruppen haben dies durch Reduktion der Sicherheitssäume des CTV oder PTV, durch Reduktion des elektiven Volumens oder der Dosis im elektiven Volumen erreicht. Für eine Analyse zum planerischen Vorgehen ohne Änderung der Dosis- und Volumenkonzepte und zum potentiellen Schonungseffekt siehe Laan et al. (2013 und 2021). Eine Reduktion der Dysphagie nach 3-6 Monaten wurde in einigen Gruppen gesehen, aber nicht langfristig bestätigt bzw. nicht untersucht (Christianen et al. Nuyts et al. 2013, Neven et al. 2016).
Literatur
Ashour MG, TH Shouman, AH Hassouna et al. Swallowing sparing intensity modulated radiotherapy versus standard parotid sparing intensity-modulated radiotherapy for treatment of head and neck cancer: a randomized clinical trial. Acta oncol. 2022; 61: 134-140
Christianen M, van der Schaaf A et al. Swallowing sparing intensity modulated radiotherapy (SW-IMRT) in head and neck cancer: Clinical validation according to the model-based approach. Radiother Oncol . 2016 Feb;118(2):298-303
Hutcheson KA, MP Barrow et al. Dynamic Imaging Grade of Swallowing Toxicity (DIGEST): Scale Development and Validation. Cancer. 2017;123(1): 62–70. doi:10.1002/cncr.30283
van der Laan HP, van de Water TA et al. Rococo cooperative group. The potential of intensity-modulated proton radiotherapy to reduce swallowing dysfunction in the treatment of head and neck cancer: A planning comparative study. Acta Oncol. 2013;52:561-9. doi: 10.3109/0284186X.2012.692885.
van der Laan HP, van der Schaaf A, et al. Quality of life nad toxicity guided treatment plan optimisation for head and neck cander. Radiother Oncol. 2021;162:85-90. doi: 10.1016/j.radonc.2021.06.035
Murphy BA, Dietrich MS, Wells N, et al. Reliability and validity of the Vanderbilt Head and Neck Symptom Survey: a tool to assess symptom burden in patients treated with chemoradiation. Head & Neck: Journal for the Sciences and Specialties of the Head and Neck. 2010 Jan;32(1):26-37. https://doi.org/10.1002/hed.21143
Nevens D, F Duprez , DF Daisne et al. Reduction of the dose of radiotherapy to the elective neck in head and neck squamous cell carcinoma; a randomized clinical trial. Effect on late toxicity and tumor control. Radiother Oncol 2017; 122(2): 171-177. https://dx.doi.org/10.1016/j.radonc.2016.08.009.
Nuyts S, M Lambrecht, F Duprez et al. Reduction of the dose to the elective neck in head and neck squamous cell carcinoma, a randomized clinical trial using intensity modulated radiotherapy (IMRT). Dosimetrical analysis and effect on acute toxicity. Radiother Oncol 2013; 109(2): 323-329. https://dx.doi.org/10.1016/j.radonc.2013.06.044.