Wirksamkeit von Aerobic- und Tai Chi-Interventionen auf die Schlafqualität bei Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs
Schlafstörungen bei Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs sind häufig chronisch. Die Entwicklung nicht-pharmakologischer Interventionen ist wichtig, um die unerwünschten Wirkungen von medikamentösen Behandlungen zu vermeiden [3]. Übliche Therapieoptionen sind hierbei aerobes Training (AE), Widerstandstraining oder eine Kombination aus beidem. Eine alternative Option sind Mindbody-Übungen (MBEs) wie Tai-Chi, die langsame Bewegungen, kontrollierte Atmung und Achtsamkeitsmeditation beinhalten. Aktuell wird postuliert, dass AE und MBE den Schlaf durch unterschiedliche zugrundeliegende Mechanismen verbessern, und zwar AE durch Thermoregulation, Wiederherstellung des Körpers und Energieerhaltung [4] und MBE durch Stärkung des mentalen Bewusstseins und Auslösung von Entspannung. [5]
Die vorgestellte, randomisierte Studie untersucht bei Patient:innen mit fortgeschrittenem Lungenkrebs die Auswirkungen von AE und TC im Vergleich zu einer selbstständig aktiven Kontrollgruppe (KG) auf die subjektive Schlafqualität (primärer Endpunkt), weitere Parameter der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und auf das 1-Jahres-Überleben.
Takemura N, DST Cheung, DYT Fong et al.: Effectiveness of Aerobic Exercise and Tai Chi Interventions on Sleep Quality in Patients With Advanced Lung Cancer: A Randomized Clinical Trial, JAMA Oncol. 2024;10(2):176-184. doi:10.1001/jamaoncol.2023.5248
Methodik und Ergebnisse
Diese einfach verblindete, kontrollierte klinische Studie wurde in den Ambulanzen von drei Krankenhäusern in Hongkong zwischen Dezember 2018 und September 2022 durchgeführt. Insgesamt erhielten 226 Patienten fortgeschrittenem Lungenkrebs 16 Wochen lang entweder aerobische und muskelkräftigende Übungen (AE) mit 2x monatlich 60-minütige angeleitete Gruppenübungen sowie Aufforderung per App zu häuslicher Übung, oder Tai Chi (TC) in zweimal wöchentlichen 60-minütigen Gruppensitzungen sowie DVD Anleitung für tägliche häusliche Übung. Die Kontrollgruppe erhielt Richtlinien für körperliche Aktivität. Die Compliance wurde mit Übungstagebuch und in TC-Gruppe mit Beurteilung der Bewegungsqualität in Woche 16 erfasst.
Der primäre Endpunkt war die subjektive Schlafqualität, erfasst durch PSQI (Pittsburgh Sleep Quality Index) nach 16 Wochen (T1) und 1 Jahr (T2). Zu den sekundären Ergebnissen gehörten neben objektiven Schlafmessungen und zirkadianem Kortisolrhythmus, psychische Belastung, Fatigue und Lebensqualität auch das 1-Jahresüberleben. Das mediane Alter betrug 61 Jahren, und 54 % waren weiblich, 60% der Patient:innen erhielten Targeted Therapien.
Die Schlafqualität (PSQI) verbesserte sich in TC -7,06 (95%KI -8,02 bis -6,1), AE -4,85 (95%KI -5,79 bis -3,9) und KG -2,68 (95%KI -3,63 bis -1,73) bei Abschluss der Übungsphase. Dieser Effekt war auch 1 Jahr Randomisation in vergleichbarer Größenordnung zu beobachten: TC -7,13 (95%KI -8,14 bis -6,12), AE -4,21 (95% KI -5,26 bis -3,17), KG -3,02 (95%KI -4,15 bis -1,89).
Die Verbesserung der subjektiven Schlafqualität war in der TC- im Vergleich zur Kontrollgruppe nach 16 Wochen und nach 1 Jahr statistisch signifikant, für AE- im Vergleich zur Kontrollgruppe nach 16 Wochen signifikant. Die TC-Gruppe hatte eine größere Verbesserung des Schlafs im Vergleich zu AE-Gruppe bei T1 (-1,49; 95%KI, -2,77 bis -0,22; p = 0,02) und statistisch signifikant bei T2 (-2,20; 95%KI, -3,57 bis -0,83; p < 0,001). Positive Auswirkungen auf die sekundären Endpunkte, objektivierbare Schlafqualität (Schlaftiefe, Dauer, Zeit bis zum 1. Aufwachen), Angstzustände, Depressionen, körperliche Funktion, Fatigue und zirkadianen Kortisolrhythmus konnten nachgewiesen werden.
Das mediane Überleben erreichte in der TC-, der AE- und in der Kontrollgruppe 49,1 bzw. 47,7 und 44,2 Wochen. Nach Adjustierung für targeted/non-targeted Therapie war der Unterschied im 1-Jahres-Überlebens nur in der TC-Gruppe statistisch signifikant: hazard ratio HR 0,35 (95%KI 0,17-0,75) p=0,004. Es wurden keine unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit den Interventionen beobachtet.
Siehe auch die Tabelle mit detaillierten Angaben zu Methodik und Ergebnissen der Studie
In einer kürzlich durchgeführten Meta-Analyse wurden positive Auswirkungen von aeroben Übungen (AE) und Mind Body Exercise (MBE) auf den Schlaf von Krebspatienten gezeigt [6]. Die meisten Studien untersuchten jedoch nur Patienten mit Krebs im Frühstadium. Die vorgestellte Studie ist bemerkenswert, weil sie Bewegungsinterventionen für Patient:innen mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom in einem sorgfältigen Design untersuchte. Die Bewegungsangebote waren gut definiert, die geforderte Bewegungsintensität war in den Gruppen vergleichbar, die Teilnahmerate an den Gruppenübungen war mit 85-100% sehr hoch und die selbständige Aktivität nach Selbstangabe mit 50% hoch. Die drop out-Rate unter Einbeziehung der Todesfälle mit 35% nach einem Jahr war für ein Kollektiv mit NSCLC II-IV niedrig.
Am deutlichsten war die Verbesserung der Schlafqualität sowie der anderen Endpunkte wie Fatigue etc. in der TC-Gruppe nachweisbar, aber auch in der selbständig aktiven Gruppe wurde eine, wenn auch geringere Verbesserung beobachtet. Die Differenz wird auf die unterschiedlichen Mechanismen von Tai Chi, einer MBE, und aerobem/Widerstands-Training zurückgeführt. Jedoch kann der höhere Anteil an Gruppenübungen in der TC-Gruppe auch als confounder wirksam sein. Die Verbesserung der Schlafqualität auch in der selbständig aktiven Gruppe spricht für die Wirksamkeit einer Bewegungsintervention als solchen. In dieser Gruppe war sie in ihrer Intensität nicht beurteilbar, da ausschließlich durch Selbstangaben, die dem Erwartungsdruck folgen könnten, erfasst.
Bemerkenswert ist, dass der positive Effekt auch nach einem Jahr in ähnlicher Größenordnung nachweisbar war. Leider fehlen Angaben dazu, ob und mit welcher Intensität die Patient:innen die Bewegungsinterventionen fortgesetzt haben.
Dabei müssen aber verschiedene Bias adressiert werden. In dieser Studie gab es für beide Übungen keine allgemein anerkannten und gültigen Scheinvergleichsgruppen. Ein Erwartungs-Bias könnte bestanden haben, weil die Teilnehmer die Gruppenzuordnung kannten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass Patient:innen mit einem größeren Willen, ihren Lebensstil zu ändern, oder/und solche mit einer geringeren Symptombelastung (bei Basisuntersuchung signifikante und klinisch relevante Gruppenunterschiede ausgeschlossen) eher zur Teilnahme neigen. Das könnte die Übertragbarkeit der Studie auf andere Patientenkollektive einschränken.
Schlafstörungen wurden mit verkürztem Überleben assoziiert [1-2]. Die Autor:innen der vorgestellten Studie interpretieren die Ergebnisse (medianes 1J-Überleben plus 1,4 bzw. 5,9 Wochen) als Hinweis auf die Lebenszeitverlängernde Wirkung von MBE. Sie führten zwar eine Multivarianzanalyse mit zahlreichen bekannten Risikofaktoren durch. Die klinisch unterschiedliche Tumorbiologie und Therapieoptionen sowie der lead time bias, d.h. die Intervention nicht bei Erstdiagnose sondern im Verlauf der Erkrankung, bleiben unberücksichtigt.
Die aktuelle Publikation stützt die Datenlage zur Verbesserung der Schlaf- und Lebensqualität mit körperlicher Aktivität bzw. MBE von Patient:innen mit verschiedenen Krebsarten [6-7]. Aufgrund eines günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses werden sie als ergänzende Option zur Verbesserung des ganzheitlichen Wohlbefindens von Patient:innen mit fortgeschrittenem Lungenkrebs empfohlen. Eine mögliche lebensverlängernde Wirkung kann nur durch eine Studie mit dieser Fragestellung als primärem Endpunkt nachgewiesen werden.
Literatur
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- Sarna L, Brecht ML. Dimensions of symptom distress in women with advanced lung cancer: a factor analysis. Heart Lung. 1997;26(1):23-30. doi:10.1016/S0147-9563(97)90006-6
- Dahiya S, Ahluwalia MS, Walia HK. Sleep disturbances in cancer patients: underrecognized and undertreated. Cleve Clin J Med. 2013;80(11): 722-732. doi:10.3949/ccjm.80a.12170
- Berger RJ, Phillips NH. Comparative aspects of energy metabolism, body temperature and sleep. Acta Physiol Scand Suppl. 1988;574:21-27.
- Luo L, Zou L, Fang Q, et al. Effect of Taichi softball on function-related outcomes in older adults: a randomized control trial. Evid Based Complement Alternat Med. 2017;2017:4585424. doi:10.1155/2017/2186987
- Gottfried T, Kamer I, Salant I, et al. Self-reported sleep quality as prognostic for survival in lung cancer patients. Cancer Manag Res. 2020;12:313-321.doi:10.2147/CMAR.S234523
- Friedenreich CM, Stone CR, Cheung WY, Hayes SC. Physical activity and mortality in cancer survivors: a systematic review and meta-analysis. J Natl Cancer Inst Cancer Spectr. 2019;4(1):pkz080.