Effekt einer Ernährungstherapie auf Lebensqualität und Überleben
Gewichtsabnahme ist in der Onkologie bei vielen Erkrankungen als negativer prognostischer Faktor fest etabliert. Zahlreiche Patient:innen, rund ein Drittel, sind im Verlauf der Erkrankung betroffen. Unklar war aber bislang weitgehend, ob eine Ernährungsberatung bei mangelernährten Patient:innen umgekehrt einen positiven prognostischen Effekt hat.
Bargetzki et al.: Nutritional support during the hospital stay reduces mortality in patients with different types of cancers: secondary analysis of a prospective randomized trial.
In dem kürzlich publizierten EFFORT Trial (Schuetz, Fehr et al. 2019) sind neu in 8 Schweizer Krankenhäuser aufgenommene Patienten (ausgeschlossen waren chirurgische oder Intensivpatienten) auf Mangelernährung gescreent worden. Dazu wurde der Nutritional Risk Score eingesetzt (0-7 Punkte). 2088 Patienten mit einem Score ³ 3 wurden als mangelernährt eingestuft und randomisiert in eine Kontrollgruppe, die die übliche Krankenhausernährung erhielt und eine Interventionsgruppe, die von Ernährungsberatern nach Leitlinien, aber individualisiert beraten wurden, um eine definierte Kalorien- und Proteinaufnahme zu erreichen. Nach 30 Tagen war unter anderem auch das Überleben der beratenen Patienten besser.
Methodik und Ergebnisse
In der vorliegenden Arbeit (Bargetzi et al. 2021) wird eine vorab geplante Subgruppenanalyse über Patienten mit Krebserkrankung aus der EFFORT-Studie veröffentlicht. Auch hier wurde als primärer Endpunkt die Mortalität jeder Genese nach 30 Tagen definiert, daneben aber auch die Mortalität nach 6 Monaten, die Bewältigung der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) mittels des Barthel-Index und die Lebensqualität über den EQ 5D-Index als sekundäre Endpunkte untersucht sowie ein zusammengesetzter Endpunkt „adverse outcome“ definiert, der Mortalität, Verschlechterung der Funktionalität/Lebensqualität und Majorkomplikationen umfasst.
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Tabelle zu Methodik und Ergebnissen der Studie
Die prognostische Aussage einer Mangelernährung findet in der Analyse Bestätigung. Mit jedem zusätzlichem Punkt im NRS der Basisuntersuchung verschlechtert sich die Prognose mit einer hazard ratio von 1,37 (95%KI 1,15-1,61) p<0,001. Patienten mit einem NRS von ³ 5 haben ein 19% höheres Risiko nach 6 Monaten verstorben zu sein als diejenigen mit einem initialen NRS von 3. Auch das Risiko eines ungünstigen Verlaufs, „adverse outcome“ ist erhöht, OR 1,42 (95%KI 1,11-1,83), p=0,06.
In der Interventionsgruppe wird mit der Ernährungsberatung der primäre Endpunkt Über-leben nach 30 Tagen mit einer OR von 0,57 erreicht, auch nach 6 Monaten war noch ein Vorteil mit einer OR von 0,83 (nicht signifikant) nachweisbar. Das bedeutet, allein durch eine individualisiert zusammengestellte Diät lässt sich in diesem Kollektiv mit verschiedenen onkologischen Entitäten nach 30 und 180 Tagen eine Überlebensverbesserung von über 5% erreichen! Zusätzlich geben die Patienten der Interventionsgruppe eine Verbesserung der Lebensqualität und der Aktivitäten des täglichen Lebens an.
Kommentar
Die Vorteile einer konsequenten Ernährungsberatung, unter anderem auch für das Überleben der Patient:innen, haben beispielsweise Ravasco et al. bereits 2005 an Patient:innen unter Strahlentherapie von Kopf-Hals-Tumoren und Kolonkarzinomen (Ravasco et al. 2005 und 2015) dargestellt. Diese und andere Studien (Langius et al. 2013) sind mit kleinen Patientenzahlen durchgeführt und kontrovers diskutiert worden, sie finden in dieser aktuellen Analyse mit relativ großer Patientenzahl aber jetzt Bestätigung.
Problematisch an der aktuellen Studie sind allerdings die spärlichen Informationen zu Tumorstadium und zur onkologischen Therapie einschließlich möglicher Strahlentherapien, und somit die Unsicherheit über angemessen angepasste Tumortherapien.
Interessant wäre die Darlegung der Standardernährung in den Krankenhäusern (z.B. Wunschkost oder identische Kost für alle Patient:innen im Kontrollarm) gewesen. Entsprach diese den aktuellen Leitlinienempfehlungen? So zeigen Auswertungen aus verschiedenen Ländern, dass bereits die in Kliniken angebotenen Standardmahlzeiten nicht den internationalen Empfehlungen entsprechen (Ukleja, Gilbert et al. 2018). Der Effekt der Intervention wäre möglicherweise bei optimaler Standardernährung geringer, allerdings spiegelt die Studie die Realität.
Während Leitlinien (Muscaritoli, Arends et al. 2021)(Muscaritoli 2020) bislang zwar bereits eine Ernährungsberatung auf moderatem Evidenzniveau empfehlen, wird mit dieser Studie erstmalig an adäquaten Patientenzahlen belegt, dass nicht nur die Lebensqualität, sondern auch das Überleben der Patient:innen verbessert werden. Da gerade auch die Strahlentherapie Mangelernährung bewirken und verstärken kann, sollten diese Daten für uns Ansporn sein, ein entsprechendes Screening, Beratung und ggf. auch Nahrungsergänzung unserer Patienten zu gewährleisten. Eine Herausforderung bleibt die Klärung und Sicherung der individuell besten Ernährung. So zeigte eine kürzlich erschienene Publikation die fehlende Einigkeit über geeignete Maßnahmen, die Ernährung in den Spitälern zuverlässig zu sichern (Moick, Simon et al. 2020).
Britton et al.: Eating As Treatment (EAT): a stepped-wedge, randomized controlled trial of a health behavior change intervention provided by dietitians to improve nutrition in patients with head and neck cancer undergoing radiation therapy (TROG 12.03)
Mangelernährung ist ein häufiges Problem bei Patient:innen mit Kopf- Halstumoren, das durch die Erkrankung, aber auch durch die Therapie hervorgerufen wird, und mit höherer Morbidität und Mortalität einhergeht. Britton und Kollegen (Britton, McCarter et al. 2015; Britton, Baker et al. 2019) haben in australischen Krankenhäusern einen neuen Ansatz der Mangelernährung entgegenzuwirken untersucht. Ernährungsberater und -beraterinnen wurden in verhaltenspsychologischen Interventionen (cognitive behavioral therapy) und empathischem Interviewstil geschult, um motivierend auf das Ernährungsverhalten der Patienten einwirken zu können. Patient:innen sollten also letztlich Essen als Teil ihrer Therapie begreifen. Die Methode wird mit dem Akronym „EAT“ bezeichnet, eating as treatment. Zeitgleich wurde mit zwei Fragebögen ein Screening auf Depression und bei Bedarf Überweisung zur Mitbehandlung (wie im Zentrum üblich) durchgeführt.
Methodik und Ergebnisse
Die Studie wurde in einem Stepped-Wedge-Design erstellt (Wellek, Donner-Banzhoff et al. 2019). Zunächst erhielten die Patienten aller Zentren eine Ernährung nach Standard des jeweiligen Krankenhauses (usual care) und bildeten die Kontrollgruppe. Die Ernährungsberater wurden erst zum Abschluss der Kontrollphase mehrere Tage in EAT trainiert und bei Einführung ausführlich persönlich vor Ort und per Audio-Videokommunikation supervidiert. Der Zeitpunkt der klinischen Umstellung auf EAT wurde vor Studienbeginn nach Zentrum randomisiert, derart dass in der letzten Studienphase alle Zentren EAT anwandten.
Der zur Beurteilung des Ernährungsstatus herangezogene Patient-Generated Subjective Global Assessment (PG-SGA) gehört zum ernährungsmedizinischen Standardrepertoire. Insgesamt können 49 Punkte erreicht werden, wobei ein hoher Wert einem schlechten Ernährungsstatus entspricht. In der hier vorliegenden Studie wurde ein Unterschied von 1,5 Punkten in diesem Score in der letzten Therapiewoche zugunsten der Interventionsgruppe erreicht, was nach Angaben der Autoren einem klinisch relevanten Unterschied entspricht. Der Effekt sei ca. sieben mal größer als mit Anlage einer Ernährungssonde erzielbar. Daneben sind aber auch Unterschiede in sekundären Endpunkten wie eine Differenz (13 %) in der Häufigkeit eines Gewichtsverlusts > 10 % bei Therapieabschluss, oder die verbesserte Lebensqualität, signifikant weniger Therapiepausen sowie eine geringere Rate an Depressionen von Interesse.
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Tabelle zu Methodik und Ergebnissen der Studie
Kommentar
Die Studie von Britton (Britton, Baker et al. 2019) belegt wie andere Untersuchungen zuvor die Vorteile einer individualisierten Ernährungsberatung an Strahlentherapiepatient:innen in Hinsicht auf den Ernährungsstatus, die Reduktion der Zahl an Therapieunterbrechungen und die Verbesserung der Lebensqualität. Ein Einfluss auf das Überleben wurde hier bislang nicht untersucht.
Der Wert der Intervention, die verhaltenstherapeutische Schulung, ist allerdings schwer zu beurteilen und gegenüber einer konventionellen Ernährungsberatung schlecht abgrenzbar, da die Ernährung und Beratung in der Kontrollgruppe nur unzureichend skizziert wird (auch die Beratungsgespräche in der Kontrollgruppe wurden aufgezeichnet und supervidiert). Ein Vorteil der aufwändigen verhaltenstherapeutischen Schulung der Ernährungsberater gegenüber einfacher umsetzbaren, pragmatischen Beratungsansätzen wird daher nicht abschließend belegt, ist aber plausibel. Die Autoren betonen, dass der Betreuungsaufwand, ein wöchentliches Gespräch, gegenüber der üblichen Betreuung nicht erhöht ist, sondern der Effekt auf die Art der Gesprächsführung zurückzuführen ist. Der reduzierte Depressionsscore wird von den Autoren auf ein einfaches, regelmäßiges Screening auf Depression und bei Bedarf Betreuung durch das Zentrum in üblicher Weise zurückgeführt. Nähere Angaben zu Folgetherapien fehlen, daher kann ein Effekt der Intervention der Ernährungsberaterinnen selbst nicht ausgeschlossen werden.
Zusammenfassend belegen beide Studien, dass sich eine intensive Betreuung von Patient:innen, die vorbestehend oder unter onkologischer Therapie Probleme mit einer angemessenen Nahrungsaufnahme haben, lohnt. Hierbei kommt es auf eine optimale Kommunikation Richtung Patient:innen an, aber sicher auch im interprofessionellen Team, um eine hohe Motivation und gute Lebensqualität der Betroffenen zu erreichen, damit eine sichere onkologische Therapie zu ermöglichen und das Überleben zu verbessern (Mercadante, Jensen et al. 2021).
Literatur
Britton, B., A. L. Baker, et al. (2019). „Eating As Treatment (EAT): A Stepped-Wedge, Randomized Controlled Trial of a Health Behavior Change Intervention Provided by Dietitians to Improve Nutrition in Patients With Head and Neck Cancer Undergoing Radiation Therapy (TROG 12.03).“ Int J Radiat Oncol Biol Phys 103(2): 353-362.
Britton, B., K. McCarter, et al. (2015). „Eating As Treatment (EAT) study protocol: a stepped-wedge, randomised controlled trial of a health behaviour change intervention provided by dietitians to improve nutrition in patients with head and neck cancer undergoing radiotherapy.“ BMJ Open 5(7): e008921.
Mercadante, V., S. B. Jensen, et al. (2021). „Salivary Gland Hypofunction and/or Xerostomia Induced by Nonsurgical Cancer Therapies: ISOO/MASCC/ASCO Guideline.“ J Clin Oncol 39(25): 2825-2843.
Moick, S., J. Simon, et al. (2020). „Nutrition care quality indicators in hospitals and nursing homes: A systematic literature review and critical appraisal of current evidence.“ Clin Nutr 39(6): 1667-1680.
Muscaritoli, M., J. Arends, et al. (2021). „ESPEN practical guideline: Clinical Nutrition in cancer.“ Clin Nutr 40(5): 2898-2913.
Schuetz, P., R. Fehr, et al. (2019). „Individualised nutritional support in medical inpatients at nutritional risk: a randomised clinical trial.“ Lancet 393(10188): 2312-2321.
Ukleja, A., K. Gilbert, et al. (2018). „Standards for Nutrition Support: Adult Hospitalized Patients.“ Nutr Clin Pract 33(6): 906-920.
Wellek, S., N. Donner-Banzhoff, et al. (2019). „Planning and Analysis of Trials Using a Stepped Wedge Design.“ Dtsch Arztebl Int 116(26): 453-458.