Prophylaxe des Lymphödems mit Kompressionsstumpf

Ein Lymphödem der oberen Extremität und lateralen Thoraxwand in Folge eines Mammakarzinoms und dessen Therapie bleibt trotz Entdeckung früher Karzinome durch Screeningverfahren und defensiver operativer Strategien bei der Behandlung des axillären Lymphabflusses ein klinisch relevantes Problem für die betroffenen Frauen. Die Häufigkeit spürbarer und häufig auch behandlungsbedürftiger Lymphödeme hängt entscheidend von der Invasivität des operativen Eingriffs ab: bei klassischer axillärer Dissektion liegen die Angaben im Mittel bei 19,9% versus 5,6 % nach Sentinel-Verfahren (DiSipio T et al. 2013). Darüber hinaus scheinen die Anzahl der resezierten Lymphknoten, eine begleitende Mastektomie und ein höherer Body-Mass-Index Risikofaktoren zu sein. Zudem spielt auch die Präzision der Messmethode eine Rolle: neben Inzidenzen von erkennbaren Lymphödemen (Stadium ≥°I) mit im Mittel 16,6 % (8,4 % bis 21,4 %) im Rahmen grosser Metaanalysen prospektiver therapeutischer Studien 2 Jahre nach abgeschlossener lokoregionärer Therapie (DiSipio T et al. 2013) wurden im Extremfall messbare Lymphödeme in bis zu 40% 10 Jahre nach multimodaler Therapie des Mammakarzinoms beschrieben (Pappalardo M et al. 2021). Neben einer einschränkenden Schwellung der oberen Extremität können chronische Infektionen und Fibrosen bis hin zu neurologischen Defiziten mit ausgeprägten Sensibilitätsstörungen in der Extremität resultieren. Aufgrund moderner Therapien mit eingeschränkter Radikalität ist ein Rückgang des klinischen Problems zu erkennen.
Als Behandlungen werden Lymphdrainagen, Kompressionsverbände, individuell angepasste Bandagen und Physiotherapie empfohlen, jedoch sind der optimale Zeitpunkt für den Beginn der Therapie und die Intensität der Behandlung nicht abschliessend geklärt. Auch die Fülle der eingesetzten Diagnostik zur frühen Erkennung des Lymphödems und der Beschreibung des Schweregrades von der banalen Umfangsmessung mit Massbändern über die Perometrie bis hin zur Spektroskopie mittels Bioimpedanz und einer dreidimensionalen Laservermessung weist darauf hin, dass es kein belegtes bestes Vorgehen gibt (Pappalardo M et al. 2021). Vor diesem Hintergrund ist die Suche nach einem einfachen, kostengünstigen und umsetzbaren Verfahren zur Therapie oder sogar Prophylaxe des Lymphödems sinnvoll.

Paramanandam VS, Dylke E, Clark GM, Daptardar AA, Kulkarni AM, Nair NS, Badwe RA, Kilbreath S: Prophylactic Use of Compression Sleeves Reduces the Incidence of Arm Swelling in Women at High Risk of Breast Cancer-Related Lymphedema: A Randomized Controlled Trial

Methodik und Ergebnisse
Im Rahmen einer prospektiven, randomisierten Studie wurden 307 Patientinnen mit Mammakarzinom untersucht, bei denen neben der primären Operation des Primärtumors auch eine axilläre Lymphknotendissektion erforderlich war. Patientinnen mit vorbestehendem Lymphödem oder Seitendifferenzen in der Impedanzmessung wurden ausgeschlossen. Alle Patientinnen erhielten eine strikte mündliche und schriftliche Unterweisung in einem angemessenen Verhalten (Bewegungsübungen, Hautschonung, Achtsamkeit betreffend Lymphstau). Die Patientinnen im experimentellen Arm erhielten zusätzlich zwei Compression-Sleeves (Kompressionsstrumpf; Druck von 20-25 mm Hg) zum täglichen Einsatz über 3 Monate von wenigstens 8 h täglich während der Wachphase. Die Verlaufskontrollen betreffend Lymphödem erfolgten durch geübte, hinsichtlich des Einsatzes des Kompressionsstrumpfes verblindete Physiotherapeut*innen mit Hilfe von körperlichen Untersuchungen und Messungen (Körpergrösse, Gewicht, Armumfang) sowie der Bioimpedanz.
Nach einer Nachbeobachtung von 12 Monaten zeigte sich eine signifikante Reduktion der Häufigkeit des mit der Bioimpedanz bestimmten Lymphödems (HR 0,61; p=0,004) und ein signifikant späteres Auftreten (Differenz von absolut 10% nach 1 Jahr). Dieser Unterschied blieb auch nach einer Korrektur der beiden, in dieser Studie entdeckten relevanten Einflussfaktoren (höheres Patientinnenalter; Einsatz einer neoadjuvanten Chemotherapie) bestehen.

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Tabelle zu Methodik und Ergebnissen der Studie

Kommentar
Die grosse, randomisierte klinische Studie belegt den Nutzen eines frühen Einsatzes eines Kompressionstrumpfes zur Verhinderung eines posttherapeutischen Lymphödems bei Patientinnen mit Mammakarzinom und einem hohen Risiko für die Entwicklung eines klinisch relevanten Lymphödems. Die mit hoher Evidenz in der Literatur belegten kritischen Risikofaktoren (axilläre Lymphknotendissektion, Mastektomie, hohe Anzahl resezierter axillärer Lymphknoten, Übergewicht) und die mit moderater Evidenz belegten Einflussfaktoren (Einsatz einer perioperativen Chemotherapie, Einsatz einer Strahlentherapie) waren entweder Einschlussfaktoren für die Studie oder sehr ausgewogen in hohem Prozentsatz in den beiden Studienarmen verteilt. Bei 62% der Patientinnen (durchschnittlicher BMI von 27.2) wurden Mastektomien durchgeführt, im Mittel 19 axilläre Lymphknoten disseziert, in 92% eine prä- bzw. postoperative Chemotherapie und in 92% eine Radiotherapie mit Einschluss der paraklavikulären Lymphbahnen bei 86 % vorgenommen.
Mit einer HR von 0,61 (p=0,004) auf der Basis der Bioimpedanz-Spektroskopie und einer HR von 0,56 (p=0,034) auf der Basis mechanischer Umfangsmessungen konnten die Ergebnisse früherer, deutlich kleinerer und qualitativ weniger guter Studien bestätigt werden, in denen mittlerweile 24 Monaten Nachbeobachtung existieren (Ochalek K et al. 2019). Der Nutzen der prophylaktischen Maßnahme konnte mit der sensitiven Methode der Bioimpedanz bereits wenige Wochen nach Ende der onkologischen Therapie (in Regel das Ende der postoperativen Strahlentherapie) aufgezeigt werden und hielt ebenso wie der klinische Nutzen bis zum Ende der Nachbeobachtung 12 Monate nach onkologischer Therapie auf signifikantem Niveau an. Die Beurteilung erfolgte dabei verblindet, sodass eine hohe Qualität gesichert wurde. Gleichzeitig konnte ein Nachteil der Verwendung des Kompressionsstrumpfes auf die Lebensqualität ausgeschlossen werden. Zu dieser Klärung wurden moderne Fragebögen eingesetzt (EORTC QLQ-30; BR23). Der Nutzen der Kompressionsmaßnahme blieb auch im Rahmen einer multivariaten Cox-Regressionsanalyse unter Berücksichtigung weiterer, schwächerer Risikofaktoren bestehen.
Mit dieser Studie wurden die Forderungen aus vorherigen negativen Metaanalysen zur Lymphdrainage oder anderen Maßnahmen in der Prophylaxe oder Therapie des Lymphödems um qualitativ hochwertige, grosse Studien erfüllt (Liang M et al. 2020). In den in die Metaanalysen aufgenommen Studien waren in den Kontrollarmen allerdings auch verschiedenste Kombinationen von therapeutischen und prophylaktischen Maßnahmen zu finden: von der Verwendung von Bandagen, Kompressionsverbänden und gezielten eigenständigen Übungen der Patientinnen bis hin zum Einsatz von Laser- und Elektrotherapien oder pneumatischer Kompression. Eine konsequente, längerfristige Umsetzung von Kompressionsmaßnahmen (Bandagen, Druckverbände, manuelle Lymphdrainagen) erfolgte in den meisten Studien nur bis zu 4 Wochen nach erfolgter Krebstherapie, während die aktuelle Studie 3 Monate ansetzte. Lediglich in einer belgischen Studie wurden die Patientinnen über mehr als 12 Monate nachbeobachtet und hier war die Kontrollgruppe bei umfänglichem Programm gegenüber der Lymphdrainage nicht unterlegen, jedoch wurde das einfachere Verfahren des Kompressionsstrumpfes nicht geprüft (Devoogdt N et al. 2011). Vor diesem Hintergrund belegt die Arbeit von Paramanandam et al. an der bislang grössten, sorgfältig geplanten klinischen und einseitig verblindeten Studie den Nutzen eines konsequenten prophylaktischen Einsatzes eines Kompressionstrumpfes des betroffenen Armes und ermöglicht damit den Patientinnen mit hohem Risiko für die Entwicklung eines klinisch relevanten Lymphödems eine kostengünstige, flexible und wenig aufwendige ambulante Maßnahme.
Eine sinnvolle und kostengünstige Ergänzung ist der Einsatz von Risiko-Modellen, um vor allen den Frauen mit hohem Risiko für das Auftreten eines Lymphödems eine gezielte, frühzeitige Prophylaxe anzubieten bzw. diese Patientinnen engmaschiger an Kontrollen zu binden (Kwan JYY et al. 2021). Hierdurch könnte der belegt kostenintensive Aufwand eines engmaschigen Nachverfolgens und des grosszügigen Einsatzes einer frühen Lymphtherapie aller Patientinnen vermutlich verringert werden (De Vrieze et al. 2020).
Ein im letzten Jahr publiziertes Manuskript einer multizentrischen australisch-amerikanischen Studie zeigte, dass die Spektroskopie auf der Basis der Bioimpedanz gegenüber einer rein mechanischen Messmethode des Armumfangs sensitiver in der Detektion eines Lymphödems ist (Boyages J et al. 2021), sodass dieses Verfahren für Patientinnen mit höherem Risiko eingesetzt werden könnte, um den optimalen Zeitpunkt einer angemessenen Lymphtherapie gezielter zu steuern.
Eine weitere klinische Studie konnte die vielfach geäusserte Skepsis gegenüber aktiven sportlichen Tätigkeiten nach erfolgter Brustkrebstherapie ausräumen: Bloomquist et al. konnten in ihrer randomisierten Studie nachweisen, dass ein sportliches Fitnessprogramm die Gefahr des Auftretens eines Lymphödems nicht erhöht. Aktuell laufende oder initiierte Studien werden hoffentlich die Möglichkeiten einer weiteren Verbesserung des Angebotes in der Vermeidung, der Prophylaxe und der Therapie des Lymphödems nach onkologischer Brustkrebstherapie belegen. Untersucht werden der Einsatz gezielter Übungsprogramme (Soriano-Maldonado A et al. 2019; Boing L et al. 2020), spezifischer propriozeptiver antiödematöser Therapien (Munoz-Alcaraz MN et al. 2020), chirurgischer Rekonstruktionsverfahren (Kareh AM 2020) und vor allem der Einsatz einer alleinigen Strahlentherapie des axillären Lymphabflusses anstelle einer radikalen Operation (Weber WP et al. 2021).
Bis zu dem Vorliegen dieser Studienergebnisse dürften der generelle Einsatz von Risikoberechnungen, die klinische und technische Verlaufskontrolle von Patientinnen mit erhöhtem Lymphödemrisiko und der Einsatz von kostengünstigen Kompressionsstrümpfen bei deutlich erhöhtem Lymphödemrisiko gerechtfertigt sein.

Literatur

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