Nintedanib zur Therapie der radiogenen Pneumonitis
Abhängig von der Bestrahlungsdosis und -technik, entwickeln bis zu 20 % der Patient*innen 1−6 Monate nach thorakaler Strahlentherapie einen Grad ≥ 2 Pneumonitis, klinisch charakterisiert durch Husten, Dyspnoe, Fieber und/oder respiratorische Insuffizienz [1]. In der Mehrheit der Fälle kann dies außerdem zu einer irreversiblen Fibrose führen, was mit hoher Morbidität und potenzieller Mortalität einhergehen kann. Obwohl das Risiko am höchsten ist bei der definitiven Lungenbestrahlung (Primarius oder Metastasen), sind auch Patient*innen mit Ösophagus-, Mediastinal- oder sogar Brustbestrahlung (wenn z. B. die Lymphabflusswege mitbestrahlt werden) gefährdet. Präventive oder therapeutische Maßnahmen sind nach wie vor deutlich limitiert.
Rimner et al. Randomized Phase 2 Placebo-Controlled Trial of Nintedanib for the Treatment of Radiation Pneumonitis (International Journal of Radiation Oncology, Biology, Physics 2023)
Nach vielversprechenden Ergebnissen von Nintedanib bei verschiedenen Lungenerkrankungen (z. B. idiopathische Lungenfibrose), führten Rimner et al. eine prospektive, randomisierte Phase-II-Studie durch, um die therapeutische Effektivität dieses Tyrosinekinase-Inhibitors (anti-FGF-R1 und 3, anti-PDGF-Ra und b, anti-VEGF-R1−3) bei der strahleninduzierten Pneumonitis zu untersuchen [2,3].
Methodik und Ergebnisse
In dieser doppelblinden, placebokontrollierten Phase-II-Studie wurden Patient*innen eingeschlossen mit einer klinisch neudiagnostizierten radiogen-induzierten Grad ≥ 2 Pneumonitis (d. h. symptomatisch; mit Einschränkungen der iADL). Ein thorakales Malignom sollte dabei vor 1−9 Monate in definitiver Intention bestrahlt worden sein. Die Patient*innen wurden 1:1 randomisiert zwischen Nintedanib + Standardtherapie mit Prednison in wöchentlichem Abbau versus ein identisches Placebo + Predison.
Insgesamt wurden 34 Patient*innen randomisiert, wovon 30 mindestens 4 Wochen Therapie erhielten und somit analysiert wurden (18 in der Nintedanib-Gruppe). Nach einem medianen Follow-Up von 13 Monaten war die Proportion ohne akute Exazerbation nach einem Jahr 72 versus 40 % (p = 0,037). Bei den patient-reported outcomes konnten keine Signifikanzen erreicht werden, jedoch ergab sich einen Trend Richtung Verbesserung des Schweregrades für Husten und Wheezing, sowie eine schnellere Verbesserung der SGRQ (einen für Lungenerkrankungen validierten Fragebogen) in der Nintedanib-Gruppe bei Abschluss dieser Therapie. In der objektiven Lungenfunktionsmessung ergaben sich auch keine signifikanten Unterschiede. Im experimentellen Arm traten 16 Grad ≥ 2 Nebenwirkungen auf, die möglich oder wahrscheinlich mit Nintedanib in Verbindung gebracht werden (versus 5 im Kontrollarm). Diarrhoe und Dyspnoe traten am häufigsten auf (jeweils 17 % in der experimentellen Gruppe).
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Tabelle mit detaillierten Angaben zu Methodik und Ergebnissen der Studie
Kommentar
Die Datenlage bezüglich Prophylaxe und Therapie der radiogenen Pneumonitis ist deutlich limitiert, obwohl Symptome zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität bei Krebspatient*innen führen können [1,4]. Die langfristige Einnahme systemischer Kortikoide lindert zwar in vielen Fälle die Symptome, geht allerdings mit den üblichen Nebenwirkungen einher, wobei während der Abbau-Phase außerdem ein Risiko für Resistenz besteht. In der gegenwärtigen Immuntherapie-Ära (z. B. Durvalumab-Erhaltung beim NSCLC) sollten diese aufgrund möglicher Wechselwirkungen auch eher restriktiv eingesetzt werden [5]. Klinische Studien sind in diesem Zusammenhang also unverzichtbar und die Anwendung eines Medikaments, was bereits bei einer pathophysiologisch sehr ähnlichen Erkrankung zugelassen wurde (seit 2015 in der EU), war dabei ein sehr guter Einwand.
Die größte Einschränkung der aktuellen Studie ist das kleine Kollektiv. In der Poweranalyse wurden initial 64 Patient*innen geplant, aber trotz multizentrischem Vorgehen (4 amerikanische Kliniken mit hohem Volumen) und Rekrutierungszeit von knapp 5 Jahren konnte nur die Hälfte davon eingeschlossen werden, weswegen die Studie auch frühzeitig geschlossen wurde. Obwohl der primäre Endpunkt das Signifikanzniveau erreichte, war dies für die sekundären Endpunkte (QoL und LuFu) nicht der Fall, trotz eines Trends Richtung Verbesserung mit Nintedanib.
Dass mehr Patient*innen in der Nintedanib-Gruppe eingschlossen wurden, die eine Grad 3 Pneumonitis hatten (4 versus 2), spricht für die Wirksamkeit. Das doppelblinde und placebokontrollierte Studiendesign sowie das Heranziehen von patient-reported outcomes und objektiven Messverfahren erlauben eine umfassende Beurteilung der Wirkung vom Nintedanib. Auch die Überprüfung der Therapie als mögliches add-on zur gängigen Kortikoid-Standardtherapie ist sehr wertvoll. Die geplante Publikation von radiologischen und biochemischen (Biomarker) Ergebnissen werden das Verständnis der radiogenen Pneumonitis weiter vertiefen.
Die wichtigsten Risikofaktoren der radiogenen Pneumonitis sind die Bestrahlungsdosis, das bestrahlte Lungenvolumen und konkomitante Systemtherapien [6]. Angaben diesbezüglich hätten gegebenenfalls etwas detaillierter sein können. Weitere dosimetrische Angaben neben MLD wären dabei sinnvoll gewesen (z. B. V5Gy, V20Gy) [7]. Obwohl die Rate an Nie- und Ex-Raucher angegeben wurde, fehlen Informationen über Patient*innen die im Zeitraum der Studie geraucht haben, was auch eine Verbesserung der Symptome erklären könnte [6]. Auch die Abweichungen im vorgeschriebenen Abbau-Schema der Kortikoide, laut Studienprotokoll erlaubt, wurden nicht angegeben. Da die Lungenfunktion 18−24 Monate nach Abschluss der Strahlentherapie noch weiter absinken kann, wäre ein längeres Follow-Up sinnvoll [8]. Als weitere Endpunkte wären Schweregrad der einzelnen Exazerbationen (bzw. ob dies in der Nintedanib-Gruppe reduziert wurde) und die Rate an Pneumonitis-bedingten Hospitalisierungen auch wertvoll gewesen.
Das Nebenwirkungsprofil vom Nintedanib war ähnlich wie bei den anderen Indikationen, mit hauptsächlich Diarrhoe und Dyspnoe [2]. Nintedanib ist ein Angiogenese-Inhibitor, aber Blutungszeichen wurden nicht beobachtet. Vorsicht ist allerdings gebeten bei Patient*innen die parallel eine Erhaltungssystemtherapie bekommen: bei einem Patienten, der den TKI Afatinib erhielt, trat eine Grad 3 Diarrhoe auf, was eine Dosisreduktion und Absetzen des Nintedanibs erforderlich machte. In einer Ära von routinemäßigen angebotenen next-generation sequencing und bei starker Zunahme der Anwendung zielgerichteter Therapien, ist hierbei zukünftig Vorsicht geboten.
Die antiinflammatorischen Eigenschaften von Nintedanib wurden im Kontext der Strahlenpneumonitis auch bereits als prophylaktische Maßnahme untersucht [9]. Dy et al. randomisierten 8 inoperable NSCLC-Patient*innen im Z. n. definitiver Radiochemotherapie zwischen Nintedanib oder Placebo für 6 Monate (doppelblind). Auch diese Studie wurde wegen der mangelnder Patientenakquise frühzeitig geschlossen. Grad ≥ 2 Pneumonitis trat bei 2 von 3 Placebo-Patient*innen auf, während alle Patient*innen in der Nintedanib-Gruppe asymptomatisch blieben. In der Nintedanib-Gruppe trat allerdings eine Grad 5 Blutung auf. Die radiogene Lungenbelastung der kontralateralen Lungen (V5Gy) war bei den symptomatischen Patient*innen allerdings deutlich höher, was die Ergebnisse zumindest teilweise erklären könnte.
Trotz der kritischen Würdigung möglicherweise verzerrender bzw. fehlender Faktoren wird auf eine mögliche Effektivität vom Nintedanib hingewiesen, sodass dies eine erste Studie mit hoffnungsvollen Ergebnissen bei der Therapie der radiogenen Pneumonitis darstellt. Phase-III-Studien mit besserer Rekrutierung sind allerdings zwingend erforderlich, bevor Nintedanib routinemäßig eingesetzt werden kann. Insbesondere bei der jüngsten Zunahme an stereotaktisch-ablativen Bestrahlungen und konkomitanten Immuntherapien, besteht ein Bedarf prophylaktische und therapeutische Optionen zu entwickeln.
Literatur
[1] Mehta V. Radiation pneumonitis and pulmonary fibrosis in non–small-cell lung cancer: Pulmonary function, prediction, and prevention. Int J Radiat Oncol 2005;63:5–24. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.ijrobp.2005.03.047.
[2] Richeldi L, du Bois RM, Raghu G, Azuma A, Brown KK, Costabel U, et al. Efficacy and Safety of Nintedanib in Idiopathic Pulmonary Fibrosis. N Engl J Med 2014;370:2071–82. https://doi.org/10.1056/nejmoa1402584.
[3] Rimner A, Moore ZR, Lobaugh S, Geyer A, Gelblum DY, Abdulnour REE, et al. Randomized Phase 2 Placebo-Controlled Trial of Nintedanib for the Treatment of Radiation Pneumonitis. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2023;116:1091–9. https://doi.org/10.1016/j.ijrobp.2023.02.030.
[4] S3-Leitlinie Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen. Leitlinienprogr Onkol (Deutsche Krebsgesellschaft, Dtsch Krebshilfe, AWMF) 2020.
[5] Antonia SJ, Villegas A, Daniel D, Vicente D, Murakami S, Hui R, et al. Durvalumab after Chemoradiotherapy in Stage III Non–Small-Cell Lung Cancer. N Engl J Med 2017;377:1919–29. https://doi.org/10.1056/NEJMoa1709937.
[6] Vogelius IR, Bentzen SM. A literature-based meta-analysis of clinical risk factors for development of radiation induced pneumonitis. Acta Oncol (Madr) 2012;51:975–83. https://doi.org/10.3109/0284186X.2012.718093.
[7] Li F, Liu H, Wu H, Liang S, Xu Y. Risk factors for radiation pneumonitis in lung cancer patients with subclinical interstitial lung disease after thoracic radiation therapy. Radiat Oncol 2021;16:1–11. https://doi.org/10.1186/s13014-021-01798-2.
[8] Borst GR, De Jaeger K, Belderbos JSA, Burgers SA, Lebesque J V. Pulmonary function changes after radiotherapy in non-small-cell lung cancer patients with long-term disease-free survival. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2005;62:639–44. https://doi.org/10.1016/j.ijrobp.2004.11.029.
[9] Dy GK, Prasad D, Kumar P, Attwood K, Adjei AA. A Phase 2 Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Study Evaluating Nintedanib Versus Placebo as Prophylaxis Against Radiation Pneumonitis in Patients With Unresectable NSCLC Undergoing Chemoradiation Therapy. J Thorac Oncol 2021;16:e19–20. https://doi.org/10.1016/j.jtho.2020.11.019.