Gibt es Blasendysfunktion nach Rektumkarzinomtherapie?

Blasenfunktionsstörungen nach präoperativer Radio(chemo-)therapie des Rektumkarzinoms

Blasenfunktionsstörungen können die Lebensqualität der Patient:innen beeinträchtigen. Eine aktuelle Metaanalyse, in der unter anderem Blasenfunktionsstörungen nach neoadjuvanter Radio(chemo-)therapie des Rektumkarzinoms untersucht wurden (Li 2022), wird im Kontext früherer Metanalysen diskutiert.

Li, X et al.: Effect of neoadjuvant therapy on the functional outcome of patients with rectal cancer: A systematic review and meta-analysis. Clin Oncol (R Coll Radiol) 2022

Methodik und Ergebnisse

Die Autoren haben 4 randomisierte und 29 Observationsstudien aus dem Zeitraum 2000 – 2021 für ihre Analyse berücksichtigt, in denen die funktionellen Störungen der Sexualität, der Blase und des Anorektums nach präoperativer Strahlen- / Radiochemotherapie mit alleinigem chirurgischem Vorgehen verglichen wurden. Ins-gesamt wurden 17917 Patient:innen eingeschlossen. .
In der vorliegenden Analyse wird über eine erhöhte Rate an Harninkontinenz berichtet (OR 1,31; 95% KI 1,0, 1,72; p= 0,05), wohingegen für die mit dem IPSS ermittelten Blasenentleerungsstörungen kein signifikant schlechteres Ergebnis ermittelt wird.

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Tabelle zu Methodik und Ergebnissen der Studie

Kommentar
Die vorliegende Arbeit muss in den Kontext früherer Metaanalysen eingeordnet werden. Loos (2012) hat die Daten aus 25 pro- und retrospektiven Studien mit 6.548 Patienten untersucht. Er findet keinen negativen Effekt der präoperativen Bestrahlung oder Radiochemotherapie auf die Harnkontinenz.
Ma (2017) veröffentlichte mit 41.121 Patienten aus 106 Studien die größte Metaanalyse zu Nebenwirkungen der präoperativen Radio- bzw. Radiochemotherapie beim Rektumkarzinom. Eine Zunahme der Rate an Harninkontinenz wird auch hier nicht beschrieben.
Alle der angesprochenen Metaanalysen schließen neben randomisierten und prospektiven Studien auch einen nicht unerheblichen Anteil an retrospektiven Unter-suchungen ein, geben aber einen umfassenden Überblick über die Literatur. Ein Effekt auf die Harnkontinenz wird nur von Li angegeben.
Die Harninkontinenz wurde mit verschiedenen Meßmethoden – Patientenfragebögen oder Arzteinschätzungen – erfasst, die Vergleichbarkeit ist entsprechend eingeschränkt.
Die von Li et al. beobachtete Beeinträchtigung durch die neoadjuvante Therapie ist eher geringgradig. Einen Anhalt für den Schweregrad gibt eine große Querschnittsuntersuchung an 3.758 Patient:innen mit einer Frage nach FACT (Downing 2018): 5% der Patient:innen gaben ausgeprägte Harninkontinenz an (quite a bit/very much), 31% eine Harninkontinenz irgendeines Schweregrades. Der Zusammenhang zum OP-Verfahren war sehr deutlich mit ausgeprägter Inkontinenz bei 10% der Patient:innen mit abdominoperinealer Rektumresektion versus 3% nach anteriorer Rektumresektion, adjustierte OR 2,05 (95%KI 1,16-3,61). Weniger deutlich war der Zusammenhang zur neodadjuvanten Therapie mit 7 vs 3,5%, adjustierte OR 1,69 (95%KI 1,18-2,43).

Im Gegensatz zur Harninkontinenz erfasst der International Prostatic Symptom Score (IPSS) eine Obstruktionssymptomatik mit inkompletter Blasenentleerung, erhöhter Miktionsfrequenz, Strahlschwäche, Nykturie. Ein direkter Effekt der Radiochemotherapie auf diese Symptomatik ist nicht kausal zu erklären und wurde auch in keiner der Analysen nachgewiesen.

Die multimodale Therapie gewährleistet im Stadium III die maximal mögliche Tumorkontrollrate. Die Deeskalation der Toxizität ist in jedem ihrer Module zu prüfen, z.B. für das chirurgische Vorgehen die Reduktion der Radikalität der pelvinen Lymphadenektomie (Anania 2021) oder Neuromonitoring während Rektumresektion (Kneist 2022), in letzter Konsequenz der Verzicht auf radikale Chirurgie. Auch der Verzicht auf Strahlentherapie bei Patient: innen mit erwartetem niedrigem Lokalrezidivrisiko (Lee 2020) oder Ersatz der Radiochemotherapie durch eine intensivierte Chemotherapie (FOLFIRINOX) werden untersucht (NORAD01-GRECCAR16, Brouquet 2020).

Literatur

  1. Brouqet A et al.: NORAD01-GRECCAR16 multicenter phase III non-inferiority randomized trial comparing preoperative modified FOLFIRINOX without irradiation to radiochemotherapy for resectable locally advanced rectal cancer (intergroup FRENCH-GRECCAR- PRODIGE trial). BMC Cancer. 2020 May 29;20(1):485
  2. Downing A et al. Functional outcomes and health-related quality of lifeafter curative treatment for rectal cancer: a population-level study in England. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2019;103:
  3. Lee et al.: Upfront radical surgery with total mesorectal excision followed by adjuvant FOLFOX chemotherapy for locally advanced rectal cancer (TME-FOLFOX): an open-label, multicenter, phase II randomized controlled trial. Trials. 2020 Apr 7;21(1):320. doi: 10.1186/s13063-020-04266-6
  4. Li, X et al.: Effect of Neoadjuvant Therapy on the Functional Outcome of Patients With Rectal Cancer: A Systematic Review and Meta-Analysis. Clin Oncol (R Coll Radiol) 2022. doi.org/10.1016/j.clon.2022.07.003
  5. Loos, M.: Effect of Preoperative Radio(chemo)therapy on Long-term Functional Outcome in Rectal Cancer Patients: A Systematic Review and Meta-analysis. Ann Surg Oncol 2013, 20:1816–1828 (2013)
  6. Ma et al: What has preoperative radio(chemo)therapy brought to localized rectal cancer patients in terms of perioperative and long-term outcomes over the past decades? A systematic reviw and metaanalysis based on 41121 patients. Int J Cancer 2017, 141 (5): 1052 – 1065

Leave A Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.