Sexualität nach Rektumkarzinomtherapie

Für Ihr Aufklärungsgespräch: Sexuelle Funktionsstörungen nach präoperativer Radio(chemo-)therapie des Rektumkarzinomes

Sexuelle Funktionsstörungen können die Lebensqualität der Patient:innen schwer beeinträchtigen, sind aber wenig untersucht und werden selten thematisiert. Hochdosierte Strahlentherapie wie beim Cervix- oder Prostatakarzinom kann bei vielen Patient:innen zu sexuellen Funktionsstörungen führen, bei anderen Tumorentitäten ist die Literatur bislang widersprüchlich (Loos 2013, Ma 2017). Jetzt ist eine Metaanalyse publiziert worden, in der unter anderem sexuelle Funktionsstörungen nach neoadjuvanter Radio(chemo-)therapie des Rektumkarzinoms untersucht wurden (Li 2022).

Li, X et al.: Effect of neoadjuvant therapy on the functional outcome of patients with rectal cancer: A systematic review and meta-analysis. Clin Oncol (R Coll Radiol) 2022

Methodik und Ergebnisse
Die Autoren haben 4 randomisierte und 29 Observationsstudien aus dem Zeitraum 2000 – 2021 für ihre Analyse berücksichtigt, in denen die funktionellen Störungen der Sexualität, der Blase und des Anorektums nach präoperativer Strahlen- / Radiochemotherapie mit alleinigem chirurgischem Vorgehen verglichen wurden. Ins-gesamt wurden 17917 Patient:innen eingeschlossen.

Sieben der in die Metaanalyse einbezogenen Artikel setzen sich mit einer erektilen Dysfunktion auseinander, drei weitere differenzieren nicht nach Geschlecht und beschreiben nur generell sexuelle Dysfunktion. Für die erektile Dysfunktion ergibt sich eine signifikante Verschlechterung (OR 1,77; 95% CI 1,27, 2,45: p < 0,001). Ein Effekt auf die allgemeine sexuelle Funktion ist nicht nachweisbar.

Auch die anorektale Funktion wurde untersucht. Sie wird durch die neoadjuvante Therapie erheblich beeinträchtigt. Dabei wird ein schweres low anterior resection syndrome (LARS) deutlich häufiger beschrieben (OR 3,09, 95% KI 2,48, 3.84; p < 0,001). Die Funktion des Analsphinkters wird häufig eingeschränkt, was sich auch in der Anorektalen Manometrie (durchschnittlicher Ruhedruck -9,91; 95% CI -17,33, -2,49; p = 0,009; durchschnittlicher Kneifdruck -12,75; 95% CI -22,67, 2,82; p = 0,01) oder dem Gebrauch von Einlagen (OR 2,81; 95% CI 1,47, 5,39; p = 0,002) widerspiegelt. So ist denn auch der Wexner-Score, ein Messinstrument für den Schweregrad einer Stuhlinkontinenz, deutlich schlechter (OR 2,58; 95% CI 1,7, 3,46; p < 0,001).

Wesentliche Details zu Methodik und Ergebnissen der Metaanalyse sind in der Tabelle dargestellt.

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Tabelle zu Methodik und Ergebnissen der Studie

Kommentar
Im Gegensatz zu den anorektalen Funktionsstörungen nach Rektumkarzinomtherapie werden die sexuelle Dysfunktion und auch Funktionstörungen des Harntraktes vernachlässigt. Dies zeigt die Metaanalyse deutlich: für die Analyse der sexuellen Dysfunktion waren nur sieben von 33 Studien bzw. 672 von 17917 Patient: innen verfügbar, davon nur 30% weiblich. Die Heterogenität der Meßmethoden (siehe Tabelle) gestattet nur für die erektile Dysfunktion, für die inzwischen zunehmend der IIEF-5 eingesetzt wird, vergleichende Analysen. Möglicherweise ist damit zu erklären, dass in dieser und weiteren Metaanalysen nur für die erektile Dysfunktion ein Effekt der Radio(chemo-)therapie nachweisbar ist.

Die vorliegende Arbeit muss in den Kontext früherer Metaanalysen eingeordnet werden. Loos (2012) hat die Daten aus 25 pro- und retrospektiven Studien mit 6,548 Patienten untersucht Die Sexualfunktion wird in 10 der eingeschlossenen Studien analysiert, 6 bei Patienten männlichen Geschlechts, in 4 bei Patient:innen beider Geschlechter. In den einzelnen Studien werden diverse Funktionsstörungen erfasst, die aber aufgrund der heterogenen Methodik nur zu einem kleineren Teil in eine Metaanalyse zum Endpunkt Erektionsfunktion eingeschlossen werden konnten. Hierfür ergibt sich ein nicht signifikantes Ergebnis (RR 1,41; CI 95% 0,74, 2,72; p = 0,3).

Ma (2017) veröffentlichte mit 41121 Patienten aus 106 Studien die größte Metaana-lyse zu Nebenwirkungen der präoperative Radio- und Radiochemotherapie beim Rektumkarzinom und bestätigt den negativen Effekt auf die Erektionsfunktion (OR 2,25; 95% CI 1,51, 3,35; p = 0,01).

Alle der angesprochenen Metaanalysen schließen neben randomisierten und pro-spektiven Studien auch einen nicht unerheblichen Anteil an retrospektiven Unter-suchungen ein, geben aber einen umfassenden Überblick über die Literatur. Zusammengefasst stellen also mehrere Metaanalysen weitgehend übereinstimmend negative Langzeitwirkungen einer präoperativen Therapie des Rektumkarzinomes auf die Erektionsfunktion dar.

Die OP-Technik hat einen entscheidenden Einfluß auf die sexuelle Funtkion. Der Schweregrad der Dysfunktion und der Einfluß der Operationstechnik können in den Metaanalysen methodengemäß nicht untersucht werden. Eine große Querschnittsuntersuchung an 3802 Patient: innen mit einer Frage im Patienten Reported Outcome ist aufschlußreich (Downing 2018). Sie zeigt, dass vor allem ein Stoma das Sexualleben beeinträchtigt: Stoma adjustierte OR 3,71, nach Stoma 1,71, ohne Stoma 1, nach Radiotherapie adjustierte OR 1,73, ohne RT OR 1,0. Eine schwere Störung gaben 35% der Patient: innen mit Stoma, 18% nach Stomarückverlagerung und 10% ohne Stoma an. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die präoperative Radiochemotherapie die Stomarate reduziert.

Die erektile Dysfunktion verschlechterte sich bei bestrahlten Patienten gegenüber ausschließlich operierten Patienten um 9 versus 5 Punkte deutlicher, aber in begrenztem Maß (IIEF-5 Punkte prä- zu posttherapeutisch 20,31 +/- 4,39 versus 11,52 +/- 4.83, p = 0,012; 19,86 +/- 4,61 vs. 14,07 +/- 6,37, p = 0,031, ) (Song 2010). In dieser wie den anderen Publikationen ist die Radikalität der Operation (APR versus anteriore Resektion) entscheidend (Contin 2010, Eid 2019, Song 2014).
Langzeitfolgen der neoadjuvanten Therapie hinsichtlich der weiblichen Sexualität sind zwar in diversen Publikationen beschrieben (Marijnen 2005, Lange 2009, Jensen 2015) lassen sich aber, wohl auch wegen heterogener Methodik, in den Metaanalysen nicht belegen.

Die multimodale Therapie gewährleistet im Stadium III die maximal mögliche Tumorkontrollrate. Die Deeskalation der Toxizität ist in jedem ihrer Module zu prüfen, z.B. für das chirurgische Vorgehen die Reduktion der Radikalität der pelvinen Lymphadenektomie (Anania 2021) oder Neuromonitoring während Rektumresektion (Kneist 2022), in letzter Konsequenz der Verzicht auf radikale Chirurgie. Auch der Verzicht auf Strahlentherapie bei Patient:innen mit erwartetem niedrigem Lokalrezidivrisiko (Lee 2020) oder Ersatz der Radiochemotherapie durch eine intensivierte Chemotherapie (FOLFIRINOX) wird untersucht (NORAD01-GRECCAR16, Brouquet 2020).

Literatur

  1. Anania G et al.: Rise and fall of total mesorectal excision with lateral pelvic lymphadenectomy for rectal cancer: an updated systematic review and meta-analysis of 11,366 patients. Int J Colorectal Dis. 2021 Nov;36(11):2321-2333.
  2. Brouqet A et al.:NORAD01-GRECCAR16 multicenter phase III non-inferiority randomized trial comparing preoperative modified FOLFIRINOX without irradiation to radiochemotherapy for resectable locally advanced rectal cancer (intergroup FRENCH-GRECCAR- PRODIGE trial). BMC Cancer. 2020 May 29;20(1):485
  3. Downing A, et al. Functional outcomes and health-related quality of lifeafter curative treatment for rectal cancer: a population-level study in England. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2019;103:
  4. Contin Pet al.: Comparative analysis of late functional outcome following preoperative radiation therapy or chemoradiotherapy and surgery or surgery alone in rectal cancer. Int J Colorectal Dis 2014;29:165-175.
  5. Eid Y, et al. Digestive and genitourinary sequelae in rectal cancer survivors and their impact on health-related quality of life: outcome of a high-resolution population-based study. Surgery 2019; 166: 327-335.
  6. Jensen, PT et al.: Pelvic radiotherapy and sexual function in women. Trans Androl Urol 2015, ;4(2):186-205
  7. Lange, MM et al.: Risk factors for sexual dysfunction after rectal cancer treatment. Eur J Cancer 2009, 45(9):1578-158
  8. Kneist A et al.: Pelvic Intraoperative Neuromonitoring Prevents Dysfunction in Patients with rectal cancer: results from a multicenter, randomized, controlled clinical trial of a NEUROmonitoring system (NEUROS). Ann Surg. 2022 Sep 30. doi: 10.1097/SLA.0000000000005676
  9. Lee et al.: Upfront radical surgery with total mesorectal excision followed by adjuvant FOLFOX chemotherapy for locally advanced rectal cancer (TME-FOLFOX): an open-label, multicenter, phase II randomized controlled trial. Trials. 2020 Apr 7;21(1):320. doi: 10.1186/s13063-020-04266-6
  10. Li, X et al.: Effect of Neoadjuvant Therapy on the Functional Outcome of Patients With Rectal Cancer: A Systematic Review and Meta-Analysis. Clin Oncol (R Coll Radiol) 2022. doi.org/10.1016/j.clon.2022.07.003
  11. Loos, M et al.: Effect of Preoperative Radio(chemo)therapy on Long-term Functional Outcome in Rectal Cancer Patients: A Systematic Review and Meta-analysis. Ann Surg Oncol 2013, 20:1816–1828 (2013)
  12. Ma et al: What has preoperative radio(chemo)therapy brought to localized rectal cancer patients in terms of perioperative and long-term outcomes over the past decades? A systematic reviw and metaanalysis based on 41121 patients. Int J Cancer 2017, 141 (5): 1052 – 1065
  13. Marijnen CAM et al.: Impact of short-term preoperative radiotherapy on health-related quality of life and sexual functioning in primary rectal cancer: report of a multicenter randomized trial. J Clin Oncol 2005; 23(9): 1847 – 1858
  14. Song PH, Yun SM, Kim JH, Moon KH. Comparison of the erectile function in male patients with rectal cancer treated by preoperative radiotherapy followed by surgery and surgery alone. Int J Colorectal Dis 2010; 25: 619-624.

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