Schlafstörungen bei onkologischen Patient*innen, die eine Strahlentherapie erhalten

Viele Patient:innen berichten über Schlafstörungen; diese sind ein komplexes Problem, weil sie in der Regel zu einem cluster von Symptomen wie Schmerz, Fatigue und Depressivität gehören. Viele dieser Aspekte sind nicht spezifisch für die Strahlentherapie, können aber durch diese verstärkt werden. Viele Patient:innen geben bereits vor Beginn der Strahlenbehandlung Schlafstörungen an (Savard, Simard et al. 2001), die einen relevanten Einfluss auf den Verlauf anderer Symptome unter Strahlentherapie haben können, wie z.B. Schmerzentwicklung (Peoples, Pigeon et al. 2021). Aus diesem Grund haben sich neuere klinische Studien mit der Frage einer optimalen, bereits frühzeitigen Behandlung von Schlafstörungen beschäftigt, darunter vor allem Maßnahmen zur körperlichen Aktivität, Diäten und komplementärmedizinische Methoden (Carayol, Ninot et al. 2019).

Es gibt nur wenige Studien zu Schlafstörungen während einer Strahlentherapie. Eine aktuelle Publikation zur Häufigkeit von Schlafstörungen und eine Interventionsstudie zu Prophylaxe und Therapie von Schlafstörungen während adjuvanter Strahlentherapie bei Mammakarzinom werden vorgestellt.

Factors associated with sleep disturbances in women undergoing treatment for early‑stage breast cancer(Grayson, Sereika et al. 2022)
In dieser Studie wurde deskriptiv erfasst, wie häufig Schlafstörungen bei Patientinnen mit Mammakarzinom in verschiedenen adjuvanten Therapiesituationen vorkommen.

Es handelt sich um eine sekundäre Querschnittsanalyse von Schlafstörungen innerhalb einer longitudinalen Studie zu therapieinduzierter Nausea/Erbrechen bei Patientinnen mit Mammakarzinom in Pittsburgh. Die Befragung über Schlafstörungen erfolgte 3 Monate postoperativ mit dem PROMIS®-29 Fragebogen, der eine kurze und valide Messung von Schlafstörungen sowie anderer Symptome ermöglicht. Dieser ist an der Gesamtbevölkerung normiert, für Symptome wie Schlafstörung, Angst, Depression. Der Tscore >50 zeigt für Schlafstörung eine Erhöhung, ein Tscore <50 für Funktionalitäten eine Einschränkungen gegenüber dem Mittelwert der Gesamtbevölkerung.

Autor Studiendesign Patientenkollektiv Methodik Endpunkte Ergebnis
Grayson et al, 2022 Sekundäre Querschnittsuntersuchung in einer Longitudinalen Beobachtungsstudie 156 Frauen,
Mamma-Ca Stadium I-IIIa,
Alter median 59 Jahre (18-90 Jahre)Unter RT* 47 Pat.
Unter CTX* 24 Pat.
Unter Therapie mit AI* 26 Pat
Keine/noch nicht begonnene adjuvante Therapie 59 Pat.
PROMIS®-29 Fragebogen Symptome Tscore >50: höher als Mittelwert der Gesamtbevölkerung

Funktionen Tscore <50: reduziert gegenüber Mittelwert der Gesamtbevölkerung

Befragung 3 Monate nach OP

– Vergleich des Schweregrads der Schlafstörungen zwischen den Therapiegruppen

– Assoziation des Schweregrads der Schlafstörung mit Schweregrad von anderen Symptomen (Schmerz, Nausea, Fatigue, Angst, Depressivität, physische/soziale Funktionen) innerhalb der Therapiegruppe

– Assoziation Body-Mass-Index, Alter in Gesamtgruppe

Schweregrad der Schlafstörung: Tscore im Vgl zu Pat. ohne Therapie (OT)
OT 45,5 (95%KI 43,3-47,6)**RT 49,2 (95%KI 46,5-54,2)
p=0,038
CTX 50,3 (95%KI 46,5-51,8)
p=0,027
AI 48,7 (95%KI 45,6-51,7)
p=0,14

Assoziation mit anderen Symptomen
Ohne Therapie: Schmerz Nausea Fatigue
RT: Schmerz, Angst, Depressivität, Nausea, Fatigue, Funktionen
CTX: nur Trends bei kleiner Pat.zahl
AI: Fatigue

Assoziation mit jungem Alter, nicht mit Body-Mass-Index

*RT Radiotherapie CTX Chemotherapie AI Aromataseinhibitor Pat. Patientinnen **95% Konfidenzintervall

Im Ergebnis zeigt sich in der Gesamtgruppe eine Korrelation von jüngerem Alter mit vermehrten Schlafstörungen (p=0,008), der Body-Mass-Index hatte keinen Einfluss. Patientinnen ohne adjuvante Therapie oder mit alleiniger AI-Therapie hatten signifikant weniger Schlafstörungen als Patientinnen unter Radiotherapie (p=0,038) oder unter Chemotherapie (p=0,027). Die Schlafstörungen zeigen in allen Gruppen eine Assoziation mit anderer Symptomatik (Schmerzstärke und dem Einfluss von Schmerzen auf den Alltag, Ausmaß der Übelkeit, Fatigue, Angst und Depressivität), jedoch in unterschiedlich ausgeprägten Mustern.

Kommentar
Es gibt nur wenige Studien wie diese, die die Schlafstörungen während der Strahlentherapie untersuchen. Die vorliegenden Daten bestätigen Ergebnisse früherer Untersuchungen, dass Schlafstörungen unter adjuvanter Strahlentherapie ausgeprägter sind als ohne Therapie. Auffallend ist der fehlende Effekt der endokrinen Therapie – Schlafstörungen durch Hitzewallungen sind ein bekanntes Phänomen (Steindorf, Wiskemann et al. 2017). Das ist möglicherweise durch die kleine Patientinnenzahl zu erklären. Es ist schade, dass auch mögliche Unterschiede zwischen den Therapiemodalitäten aus diesem Grund nicht analysiert werden konnten. Interessant sind die je nach adjuvanter Therapie unterschiedlich beschriebenen Assoziationen zu den weiteren Cluster-Symptomen, die mit der klinischen Erfahrung übereinstimmen.

Die Aussagen sind limitiert durch das Studiendesign einer Querschnittuntersuchung, fehlende Basis- und Verlaufsuntersuchung, fehlende Angaben zum zeitlichen Zusammenhang mit der adjuvanten Therapie sowie die relativ kleine Patientinnenzahl.

Zu Recht weisen die Autoren weisen darauf hin, dass die Erfassung und Diskussion von Schlafstörungen auch in der Strahlentherapie eine Rolle spielen sollten. Untersuchungen weisen darauf hin, dass ein Schlafdefizit die Aktivität von Entzündungskaskaden und den oxidativen Stress erhöhen kann (Atrooz and Salim 2020)Da weitere Studien eine relevante Häufigkeit von Schlafstörungen schon vor Einleitung einer Strahlentherapie belegen (Dhruva, Paul et al. 2012) und die Schlafstörungen die Verträglichkeit der onkologischen Therapie negativ beeinflussen können (Peoples, Pigeon et al. 2021), ist eine gründliche Erfassung der Situation schon vor Einleitung der adjuvanten Strahlentherapie beim Mammakarzinom geboten.

Effects of exercise on sleep problems in breast cancer patients receiving radiotherapy: a randomized clinical trial (Steindorf, Wiskemann et al. 2017)
Der kausale Zusammenhang von Schlafstörungen – Schmerz – Übelkeit – Angst – Fatigue – Depression ist komplex. Es ist offen, ob durch Modulation eines dieser Parameter die Symptomlast insgesamt gesenkt werden kann (Jain, Boyd et al. 2015). Ein erfrischend pragmatischer Ansatz ist der Versuch, Schlafstörungen mit physischem Training zu reduzieren.

In dieser randomisierten, kontrollierten Studie wurde der Effekt eines gerätebasierten Training mit Entspannungsübungen nach Jacobson auf Schlafstörungen bei Mammakarzinompatientinnen während und nach adjuvanter Strahlentherapie verglichen.
Das Training – drei Sets an 8 Geräten, jeweils 8-12 Wiederholungen auf 60-80% der Maximalbelastung – bzw. die Entspannungsübungen wurden während der Strahlentherapie und bis 12 Wochen nach der Strahlentherapie 2x wöchentlich in der Gruppe durchgeführt. Anschließend war eine Fortführung der Übungen empfohlen. Die Schlafstörungen und weitere Clustersymptome wurden mit validierten Fragebögen (EORTC, FAQ, DES) bis ein Jahr nach Interventionsbeginn evaluiert. Eine altersgematched Beobachtungsgruppe gesunder Probandinnen wurde aus einer vergleichbaren Interventionsstudie gebildet.

Autor Studiendesign Intervention Patientenkollektiv Methodik Kontrollgruppen Endpunkte Ergebnis
Steindorf K et al, 2017 Randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie Gerätetraining vs. Entspannungs-training 160 Frauen mit Mamma-Ca bis St. III; Adjuvante Strahlentherapie der Mamma

(Vor)Therapien Training
CTX* 26 (32%)
AHT* 43(54%)

Entspannung
CTX 31 (38%)
AHT 35(43%)

Training Gerätegestützt

Entspannung nach Jacobson

supervidiert, in der Gruppe, 2xwöchentl. 12 Wochen

PRO** vor RT, Ende RT, Ende der Intervention Woche 12 sowie 2,6 und 12 Monate nach Intervention

– Training 80 Patientinnen

– Entspannung 80 Patientinnen

Vergleichsgruppe aus Parallelstudie zu Training (identische Methodik) 50 Probandinnen

Effekt des Trainings auf Schlafstörungen zu allen Messpunkten

Primärer Endpunkt
Schweregrad der Schlafstörung während und nach RT Einzelfrage in FAQ

Sekundäre Endpunkte
Kovariaten für Schlafstörungen Clustersymptome (EORTC QLQ-C30, EORTC QLQ-C30, -BR23, Fatigue FAQ,Depression CES-D, Schmerz, Hitzewallung) Alter, Body-Mass-Index, Komorbidität, Sport vor RT-Beginn, Fitness

Sign. weniger Schlafstörungen mit Sport vs. Entsp. am Ende der RT (p=0,03) und am Ende der Intervention nach 12 Wochen (p=0,005); weniger Schlafstörung, jedoch nicht signifikant, nach 12 Monaten (p=0,2)

*CTX Chemotherapie AHT Antihormonelle Therapie **Patient Reported Outcome

In einem recht großen Kollektiv von Mammakarzinom Patientinnen, die zum Studienstart keinen signifikanten Unterschied zwischen den zwei Gruppen zeigten bezüglich Ko-Faktoren wie Depression, Psychopharmaka-Einnahme, Body-Mass-Index, Sport vor Studienbeginn etc.. Die Adhärenz war in beiden Gruppen mit 19 von 24 geplanten Sitzungen gut. In der Trainingsgruppe gaben die Frauen eine geringe Reduktion der Schlafstörungen während der Strahlentherapie an, die bis zum Interventionsende nach 12 Wochen anhielt (p= 0,03 bzw. p=0,005), um 2 Monate nach Interventionsende wieder auf das Ausgangsniveau anzusteigen. Im Gegensatz dazu gaben die Frauen in der Entspannungsgruppe während der Strahlentherapie bis zum Ende der Intervention an eine Verstärkung der Schlafstörung, die 6 Monate nach Interventionsende auf den Ausgangswert zurückging. Die weitere Entwicklung verlief in beiden Gruppen parallel mit einer erneuten, geringen Verstärkung der Schlafstörung gegenüber 6 Monaten nach Interventionsende, allerdings war die Schlafstörung in der Trainingsgruppe geringer ausgeprägt (nicht signifikant) und überschritt das Ausgangsniveau nicht. Der Effekt des Trainings zeigte sich in gleicher Weise bei den gesunden Frauen der Parallelstudie, die aber von Beginn deutlich geringer ausgeprägte Schlafstörungen als die Patientinnen hatten. Ein Effekt der Interventionen auf die Schlafqualität (Einschlaf-, Durchschlafstörung, verfrühtes Aufwachen, Schlaf tagsüber) war nicht erkennbar. In der multiplen Regressionsanalyse waren nur Hitzewallungen ein signifikanter Kofaktor für Schlafstörungen in der Ausgangsunteruntersuchung.

Kommentar
Diese Studie untersuchte als erste größere Studie den Effekt eines Gerätetrainings auf Schlafstörungen bei Patientinnen mit adjuvanter Strahlentherapie und gehört zu den wenigen Studien mit positivem Ergebnis einer Bewegungsintervention für diese Patientinnen (Mock, Dow et al. 1997). Der gezeigte Nutzen des Trainings eröffnet eine sinnvolle Option für die Patientinnen. Eine der Stärken der Studie ist die detaillierte Analyse der möglichen Kofaktoren auf die Schlafstörungen, die sich im Beobachtungszeitraum hätten ebenfalls verändern und das Ergebnis beeinflussen können, z.B. Probleme mit der Brust, Schmerzen, Hitzewallungen, Depression/Angst. Der positive Effekt des Trainings blieb weiter bestehen: er war bei einer Gruppe gesunder Probandinnen (nicht randomisiert) ähnlich. In dieser Studie erhielt die Kontrollgruppe Entspannungsübungen im Unterschied zu anderen Interventionsstudien mit „üblicher Betreuung“ in der Kontrollgruppe. Jene waren weniger effektiv als Training, aber möglicherweise nicht wirkungslos, so dass der Effekt des Trainings eventuell unterschätzt wird. Der fehlende Langzeiteffekt nach einem Jahr ist enttäuschend und deutet daraufhin, dass das Training nach Abschluss der Gruppenaktivität nicht fortgeführt wurde.
Finden wir bei Patientinnen mit Mammakarzinom also Schlafstörungen, dann lohnt es sich, neben einer allgemeinen Beratung zu Schlafhygiene das Thema „Körperliche Aktivität“ anzusprechen und die Patientinnen entsprechend zu beraten (siehe auch [Berger, Matthews et al. 2017]). Von Bedeutung ist eine gute Einbindung dieser Patientinnen in ein Trainingsprogramm und eine regelmäßige Überprüfung des Behandlungserfolges, da vor allem bei älteren Patientinnen von einer hohen Abbruchrate auszugehen ist (Strandberg, Bean et al. 2022).

Literatur
Atrooz, F. and S. Salim (2020). „Sleep deprivation, oxidative stress and inflammation.“ Adv Protein Chem Struct Biol 119: 309-336.

Berger, A. M., E. E. Matthews, et al. (2017). „Management of Sleep-Wake Disturbances Comorbid With Cancer.“ Oncology (Williston Park) 31(8): 610-617.

Carayol, M., G. Ninot, et al. (2019). „Short- and long-term impact of adapted physical activity and diet counseling during adjuvant breast cancer therapy: the „APAD1″ randomized controlled trial.“ BMC Cancer 19(1): 737.

Dhruva, A., S. M. Paul, et al. (2012). „A longitudinal study of measures of objective and subjective sleep disturbance in patients with breast cancer before, during, and after radiation therapy.“ J Pain Symptom Manage 44(2): 215-228.

Grayson, S., S. Sereika, et al. (2022). „Factors associated with sleep disturbances in women undergoing treatment for early-stage breast cancer.“ Support Care Cancer; 30(1): 157-166.

Jain, S., C. Boyd, et al. (2015). „Are there efficacious treatments for treating the fatigue-sleep disturbance-depression symptom cluster in breast cancer patients? A Rapid Evidence Assessment of the Literature (REAL(©)).“ Breast Cancer (Dove Med Press) 7: 267-291.

Mock, V., K. H. Dow, et al. (1997). „Effects of exercise on fatigue, physical functioning, and emotional distress during radiation therapy for breast cancer.“ Oncol Nurs Forum 24(6): 991-1000.

Peoples, A. R., W. R. Pigeon, et al. (2021). „Association Between Pretreatment Sleep Disturbance and Radiation Therapy-Induced Pain in 573 Women With Breast Cancer.“ J Pain Symptom Manage 61(2): 254-261.

Savard, J., S. Simard, et al. (2001). „Prevalence, clinical characteristics, and risk factors for insomnia in the context of breast cancer.“ Sleep 24(5): 583-590.

Steindorf, K., J. Wiskemann, et al. (2017). „Effects of exercise on sleep problems in breast cancer patients receiving radiotherapy: a randomized clinical trial.“ Breast Cancer Res Treat 162(3): 489-499.

Strandberg, E., C. Bean, et al. (2022). „Who makes it all the way? Participants vs. decliners, and completers vs. drop-outs, in a 6-month exercise trial during cancer treatment. Results from the Phys-Can RCT.“ Support Care Cancer 30(2): 1739-1748.

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